Abstimmung im EU-Parlament zu GEAS: Ein historischer Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa

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Kinder in Haft, Asylschnellverfahren an den Außengrenzen, Abschiebungen in Länder ohne Schutz für Flüchtlinge, immer mehr Deals mit autokratischen Regierungen: Das ist die Zukunft des Flüchtlingsschutzes in Europa, wenn heute das EU-Parlament der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zustimmt. Damit wäre der Pakt besiegelt, die Mitgliedstaaten haben bereits in den letzten Verhandlungen im Februar  ihre Verschärfungen durchgesetzt – ihre finale Zustimmung  ist sicher.

„Eine Zustimmung des Europaparlaments zur GEAS-Reform wäre ein historischer Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa. Die EU schottet sich immer weiter ab: Zu den schon bestehenden Zäunen, Mauern, Überwachungstechniken und Pushbacks kommen nun absehbar noch mehr Inhaftierung und Isolierung schutzsuchender Menschen an den Außengrenzen und neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen dazu“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Seit Jahren Proteste gegen die Aushöhlung des europäischen Flüchtlingsschutzes

Über eine Reform des GEAS wird seit vielen Jahren diskutiert, verstärkt wieder seit rund 18 Monaten. Kurz vor Weihnachten 2023 hatten sich die EU-Mitgliedstaaten und das Parlament geeinigt, im Februar 2024 stimmte der zuständige Ausschuss des Europaparlaments dem Kompromiss zu. Obwohl sich die Mitgliedstaaten mit ihren restriktiven Vorschlägen in den allermeisten Punkten durchsetzen konnten, ist mit einer Mehrheit im Parlament für die Reform zu rechnen.

PRO ASYL protestiert seit Jahren, auch zusammen mit deutschen und internationalen Organisationen, gegen diese Verschärfungen und die Aushöhlung des europäischen Flüchtlingsschutzes. Vor der Abstimmung appellieren 161 europäische Organisationen an das Parlament, der Verschärfung doch nicht zuzustimmen.

Die Verordnungen treten voraussichtlich noch vor der Europawahl im Juni 2024 in Kraft, kommen aber erst 24 Monate später zur Anwendung, also im ersten Halbjahr 2026.

Reform missachtet das Leid und die Rechte von Schutzsuchenden

„Die GEAS-Reform ist unmenschlich und missachtet das Leid und die Rechte der Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung fliehen. PRO ASYL wird zusammen mit Partnerorganisationen in ganz Europa weiter gegen die Isolations- und Abschottungsstrategie der EU kämpfen“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Zu den massiven Verschlechterungen der GEAS-Reform gehören ein standardisiertes Screening, Asylverfahren an den Außengrenzen unter Haftbedingungen (auch für Familien) und extrem niedrige Standards für sogenannte sichere Drittstaaten außerhalb Europas. Das bedeutet: Ein großer Teil der Flüchtlinge wird in Zukunft kein reguläres Asylverfahren in einem EU-Land durchlaufen, sondern nur noch ein beschleunigtes Verfahren an den EU-Außengrenzen, in dessen Verlauf sie als „nicht eingereist“ gelten – abgeschottet von der Außenwelt ohne die Chance auf Beratung oder rechtliche Unterstützung. Auch Kinder müssen in diesen haftähnlichen Bedingungen ausharren, sogar eine Inhaftnahme von Kindern während des Grenzverfahrens ist nicht ausgeschlossen.

In die sogenannten sicheren Drittstaaten können Schutzsuchende, die nach Europa geflohen sind, abgeschoben werden, ohne dass ihre tatsächlichen Fluchtgründe zuvor geprüft wurden – einfach, weil in einer Vereinbarung zwischen der EU und dem Drittstaat festgelegt wurde, dass zumindest Teile des Landes „sicher“ sind. Die Genfer Flüchtlingskonvention zum Beispiel muss dort nicht gelten.

Mehr Informationen zur GEAS-Reform:

(Weitere Details sind ab Mittwochmittag nachzulesen unter den Newstexten von PRO ASYL.)

Nach einem Screening werden Asylgrenzverfahren unter Haftbedingungen an den Außengrenzen für bestimmte Personengruppen verpflichtend sein, sie können zwölf Wochen dauern. Insgesamt können geflüchtete Menschen bis zu sechs Monate an den Außengrenzen festgehalten werden, da sich noch ein neues Abschiebungsgrenzverfahren anschließt. Im Fall eines der neuen Ausnahmezustände kann dies ausgeweitet werden. Die Mitgliedstaaten können die Grenzverfahren zudem auch auf Menschen anwenden, die über angeblich sichere Drittstaaten geflohen sind. Faire Asylverfahren wird es an den Außengrenzen nicht geben, wie die langjährige Erfahrung aus der Praxis zeigt. Besonders dramatisch ist, dass es nicht einmal Ausnahmen für Kinder mit ihren Familien geben wird. Hierfür wollte sich die Bundesregierung einsetzen. Das Parlament hatte zumindest eine Altersgrenze von zwölf Jahren verlangt – aber dies dann in den Verhandlungen aufgegeben.

Auch können mit der Einigung künftig deutlich mehr außereuropäische Drittstaaten als „sicher“ eingestuft werden, um Flüchtlinge in diese Länder abzuschieben. Weder muss in dem Drittstaat die Genfer Flüchtlingskonvention gelten noch muss das ganze Land „sicher“ sein. Wenn es eine entsprechende Vereinbarung zwischen Drittstaat und EU gibt, soll die „Sicherheit“ schlicht angenommen werden können. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, dass Mitgliedstaaten sich weitgehend aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen, indem sie Nachbarländer oder andere Staaten entlang der Fluchtrouten als „sicher“ einstufen.

Das wird dazu führen, dass Menschen, die nach Europa geflohen sind, ohne Prüfung ihrer tatsächlichen Fluchtgründe in diese Länder abgeschoben werden. Mit der Reform kann die Blaupause des EU-Türkei- Deals einfacher auf weitere Drittstaaten übertragen werden, obwohl gerade dieser Deal zu immensem Leid und Menschenrechtsverletzungen geführt hat. In Griechenland gilt die Türkei auf Grundlage des Deals unter anderem für syrische und afghanische Flüchtlinge als „sicher“, ihre Asylverfahren werden deswegen als „unzulässig“ abgelehnt – nach den Gründen, warum sie ihr Herkunftsland verlassen haben, werden sie nicht mehr gefragt.

Auch auf die besonders toxische Krisenverordnung wurde sich von den Gesetzgebern geeinigt (mehr Informationen hier). Hier lagen Mitgliedstaaten und Europaparlament besonders weit auseinander – doch erneut setzten sich primär die Mitgliedstaaten durch. Damit können im Fall von Krisen und „Instrumentalisierung von Migrant*innen“ die Grenzverfahren massiv ausgeweitet werden – sowohl was die Dauer der Verfahren angeht als auch wer alles in den Grenzverfahren sein/ihr Asylverfahren durchlaufen muss. Bislang hatte das Europaparlament das Konzept der „Instrumentalisierung“ noch nicht akzeptiert, auch weil erhebliche Grundrechtsbedenken damit einhergehen. Doch auch dies findet sich nun in der Einigung wieder und schafft damit die Basis für zukünftige Ausnahmezustände an den Außengrenzen, in denen es zu Menschenrechtsverletzungen wie brutalen Pushbacks kommen wird.

Die bisherige Dublin-III-Verordnung, die festlegt, welcher Mitgliedstaat für ein Asylverfahren zuständig ist, wird durch die Verordnung für ein Asyl- und Migrationsmanagement ersetzt. Doch vieles wird beim alten bleiben, Grundprobleme des europäischen Asylsystems werden nicht gelöst. Denn weiterhin sind es die Außengrenzstaaten, die primär für die Durchführung der Asyl(grenz)verfahren zuständig sind. Beim EU-Parlament gab es zumindest den Ansatz, durch einen starken Solidaritätsmechanismus einen gewissen Neuanfang zu wagen. Doch die Mitgliedstaaten haben sich auch hier durchgesetzt. Ergebnis ist, dass die Aufnahme von Schutzsuchenden als Solidaritätsmaßnahme gleichgestellt wird mit Geldzahlungen oder Projekten in Drittstaaten, die der Fluchtverhinderung dienen. Es ist zu erwarten, dass das ganze System sogar noch bürokratischer wird als die aktuellen Dublin-Regeln.

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