Angebliches »Sicherheitsgesetz«: Angriff auf Grundrechte

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Innerhalb von zwei Wochen macht die Bundesregierung aus dem noch kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen vorgestellten Sicherheitspaket einen eilig zusammengezimmerten Gesetzentwurf, der am 12. September 2024 in erster Lesung im Bundestag verhandelt wurde. Einmal mehr wird auf asyl- und aufenthaltsrechtliche Verschärfungen gesetzt, statt sich nach dem schrecklichen Anschlag von Solingen zum Beispiel auf Extremismusprävention zu konzentrieren.

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An die Bundesregierung

Flüchtlingsschutz ist Teil unserer demokratischen Werte

Anfang dieser Woche machten 27 Organisationen gemeinsam deutlich: »Nach Deutschland geflüchtete Menschen sind Teil unserer Gesellschaft: Sie arbeiten und engagieren sich hier, ziehen ihre Kinder hier groß und gehören hierher. Fehlverhalten einzelner darf niemals dazu führen, dass pauschal bestimmte Gruppen von Menschen stigmatisiert, rassifiziert und als nicht zugehörig markiert werden. Wir lassen uns nicht spalten.« Gemeinsam mit den anderen Organisationen mahnte PRO ASYL die Bundesregierung, sich für den Rechtsstaat und die Menschenrechte einzusetzen. Damit sind weder Zurückweisungen oder pauschale Inhaftierungen an den Grenzen noch ein »Auf-die-Straße-setzen« von schutzsuchenden Menschen vereinbar. Doch letzteres ist nun mit dem »Sicherheitspaket« geplant. Das ist aus Sicht von PRO ASYL eindeutig verfassungswidrig. Auch die weiteren Vorschläge sieht PRO ASYL kritisch, denn sie verstoßen unter anderem gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und EU-Recht.

Zu den Regelungen im Einzelnen:

Rechtswidrige Änderungspläne für das Asylbewerberleistungsgesetz

Der Gesetzesentwurf sieht Änderungen im § 1 Abs. 4 im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vor: Bestimmten Gruppen geflüchteter Menschen soll selbst die grundlegendste Versorgung verweigert werden. Selbst in eng begrenzten Härtefällen soll kaum mehr als das physische Überleben gesichert werden.

Von der Neuregelung betroffen sind zum einen Ausreisepflichtige, die in einem anderen EU-Staat noch fortbestehenden internationalen Schutz (Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz) erhalten haben. Zum anderen erfasst § 1 Abs. 4 nunmehr auch ausreisepflichtige Menschen, deren Asylantrag wegen der Zuständigkeit eines anderen Dublin-Vertragsstaats als unzulässig eingestuft und für die eine Abschiebungsanordnung erlassen wurde. Menschen mit Duldung sind von der Regelung nicht erfasst. Die bisher bereits für Dublin-Fälle vorgesehene, auch inhaltlich bislang nicht ganz so weit gehende Leistungskürzung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG wird gestrichen.

Keine Leistungen mehr

Die Betroffenen sollen künftig grundsätzlich »keinen Anspruch auf Leistungen« nach AsylbLG mehr haben. Vorgesehen sind lediglich »Überbrückungsleistungen« bis zur Ausreise, maximal zwei Wochen lang. Diese Überbrückungsleistungen umfassen ausschließlich Sachleistungen für Unterkunft, Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege sowie eine gegenüber der ohnehin miserablen Krankenversorgung des AsylbLG nochmals reduzierte Variante. Kleidung und Hausrat dürfen nur in Ausnahmefällen geleistet werden, Leistungen nach § 6 AsylblG, die zum Beispiel im Fall von Pflegebedürftigkeit oder Behinderung nötig werden, gar nicht mehr. Geldleistungen sind gesetzlich ausgeschlossen. Reisekosten werden nur auf Antrag und als Darlehen gewährt. Nach zwei Wochen fallen die betroffenen Menschen aus dem Leistungsbezug heraus.

Lediglich in Einzelfällen »außergewöhnlicher Härte« können Leistungen hinzukommen, auch über zwei Wochen hinaus. Doch selbst in Härtefällen sollen zur Sicherung des rein physischen Überlebens (»Bett, Brot, Seife«) lediglich die Krankenversorgung nach § 4 AsylbLG und Leistungen zur »Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern« hinzukommen. Mittel zur Sicherung der sozialen Existenz oder gar ein Barbetrag sind vom Gesetz ausgeschlossen, ebenso wie Leistungen nach § 6 AsylbLG. Damit werden insbesondere die existenziellen, besonderen Bedarfe etwa kranker, alter, traumatisierter Menschen, bei Schwangerschaft oder von Gewalt betroffenen Frauen in der Neuregelung an keiner Stelle berücksichtigt, nicht einmal im Rahmen von Härtefällen.

Menschen werden auf die Straße gesetzt

Zu befürchten ist, dass mit diesen neuen Vorhaben künftig zahlreiche Menschen ungeachtet ihrer sozialen und gesundheitlichen Lage von den Behörden ohne Geld, ohne Nahrung und ohne medizinische Hilfe schlicht auf die Straße gesetzt werden. Zwar gibt es streng definierte Ausnahmefälle, aber selbst in diesen »außergewöhnlichen Härtefällen« will die Bundesregierung den Betroffenen, von Ausnahmen für Kinder abgesehen, nicht mehr als das rein physische Überleben zugestehen.

Diese Absicht ist erschreckend menschenfeindlich und auf den ersten Blick offenkundig verfassungswidrig. Sie bricht mit dem Recht auf eine menschenwürdige Existenz, wie sie das Bundesverfassungsgericht für jeden Menschen, auch für Geflüchtete, mehr als einmal festgehalten hat.

Der Staat hingegen will künftig Hunderte oder gar Tausende Menschen einfach aus betreuten Unterkünften entlassen, damit auch aus der Übersicht über deren Aufenthaltsorte, und provoziert in den Städten die sichtbare Verelendung und Verzweiflung von immer mehr obdachlosen, um ihr Überleben kämpfenden Menschen. Die Neuregelung des § 1 Abs. 4 AsylbLG ist selbst in der Logik eines Staates, der Migration angeblich besser steuern und kontrollieren will, um ein funktionierendes Gemeinwesen zu gestalten, widersinnig.

Doppelt gegen europäisches Recht

Die Neuregelung erscheint doppelt europarechtswidrig: Die aktuelle Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU) schließt eine pauschale Kürzung für bestimmte Personengruppen aus. Auch ein asylrechtlich nicht zuständiger Mitgliedstaat muss ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe insbesondere für vulnerable Personen leisten. Die neue, bis Mai 2026 umzusetzende, EU-Aufnahmerichtlinie sieht zwar vor, dass bestimmte Rechte auf Versorgung in unzuständigen Staaten entfallen. Aber auch in diesem Fall ist nach EU-Recht eine vollständige Leistungsstreichung nicht zulässig.

Für Kinder und besonders schutzbedürftige Personen muss eine uneingeschränkte Krankenversorgung sichergestellt sein – auch an diesem Punkt verstößt die geplante Neuregelung klar gegen das EU-Recht. Ebenso verstößt sie gegen internationales Völkerrecht, allen voran die UN-Kinderrechtskonvention, die Behindertenrechtskonvention und die Istanbul Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

Laut Gesetzesbegründung sollen die Betroffenen durch die Leistungsstreichung »angehalten werden, in den für die Prüfung ihres Antrags zuständigen Staat zurückzukehren, um die Ihnen dort zustehenden Aufnahmeleistungen … zu beziehen.« Doch die im Dublin-Verfahren befindlichen Menschen haben es regelmäßig gar nicht selbst in der Hand, in den für ihre Asylverfahren zuständigen Staat auszureisen, denn Geflüchtete im Dublin-Verfahren sind dem Überstellungsprozedere der Staaten weitgehend ausgeliefert.

Klagen sind nötig

Wie weit die streng formulierte Öffnungsklausel für »außergewöhnliche Härtefälle« in der Praxis genutzt werden wird, bleibt abzuwarten. In vielen Bundesländern und Kommunen werden die von der Neuregelung betroffenen Menschen vor Gericht ziehen müssen, um das Nötigste zum Leben zu erhalten. Viele von ihnen werden aber in einer derart prekären Lage kaum eine Hilfe oder einen Rechtsbeistand dafür suchen können. Am Ende werden das Bundesverfassungsgericht oder der Gerichtshof der Europäischen Union den staatlichen Versuch, Menschen der Obdachlosigkeit, dem Hunger und Krankheiten auszusetzen und ihres sozialen Lebens zu berauben, stoppen müssen.

Widerruf des Schutzstatus bei Reisen ins Herkunftsland verstößt gegen Genfer Flüchtlingskonvention

Bereits jetzt kann, wer in sein Herkunftsland zurückkehrt, seine Flüchtlingseigenschaft verlieren. Nach § 73 Abs. 1 Nr. 4 Asylgesetz (AsylG) kann die Flüchtlingseigenschaft widerrufen werden, wenn die betreffende Person freiwillig in das Land, das sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen sie sich aus Furcht vor Verfolgung befindet, zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat.

Entscheidend ist hierbei und im Lichte der vorgesehenen Änderung, dass sich die betreffende Person im Verfolgerstaat »niedergelassen« haben muss. Davon ist auszugehen, wenn sich die Person im Verfolgerstaat nicht nur vorübergehend aufhält, sondern die Absicht hat, dort einen Wohnsitz zu nehmen und sich eine Existenz aufbauen – und damit zu erkennen gibt, dass sie sich wieder dem Schutz des Herkunftslands unterstellt. Dass der bisherige Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten wird, steht dem nicht entgegen. Erforderlich ist allein die rechtliche oder faktische Begründung eines (weiteren) Lebensmittelpunktes.

Besuch bedeutet nicht Niederlassung

In der aktuellen Debatte geht es aber um Medienberichte über international Schutzberechtigte, die zu kurzen Aufenthalten in ihre jeweiligen Herkunftsländer reisen. Ein einzelner, bloßer Besuchsaufenthalt, mag sich dieser auch über einen längeren Zeitraum erstrecken, unterfällt dem Begriff der Niederlassung dagegen regelmäßig nicht (VG Köln BeckRS 2015, BECKRS Jahr 55164).

Hier will der Gesetzgeber nun Handlungsfähigkeit signalisieren und dem bestehenden Widerrufstatbestand folgenden Satz hinzufügen: »Reist der Ausländer in einen Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, wird vermutet, dass er sich […] erneut freiwillig dem Schutz des Staates unterstellt, es sei denn, die Reise ist sittlich zwingend geboten.«

Es soll also eine neue Voraussetzung für die Zulässigkeit von Reisen in das Herkunftsland geschaffen werden: Die sittliche Gebotenheit der Reise, zu der laut Gesetzesbegründung zum Beispiel schwere Krankheiten und Todesfälle von Familienangehörigen gehören. Hier erfolge die Heimreise »aus einer persönlichen Konfliktlage, bei der eine bestehende Verfolgungsgefahr gewissermaßen in Kauf genommen wird«, heißt es im Entwurf.

Umkehr der Beweislast

Zudem soll aber auch die Beweislast umgekehrt werden: Bisher musste das BAMF nachweisen, dass der Widerrufstatbestand erfüllt ist. Mit dem Gesetzentwurf liegt diese Beweislast bei den international Schutzberechtigten.

Der Entwurf widerspricht sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) als auch der Qualifikationsrichtlinie (beziehungsweise der insoweit identischen Qualifikationsverordnung, die bis Mai 2016 umzusetzen ist). Der aktuelle Widerrufsgrund des § 73 Abs. 1 Nr. 4 AsylG entspricht in seiner aktuellen Fassung Artikel 1 C Nr. 4 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) beziehungsweise Art. 11 Abs. 1 lit. d der Qualifikationsrichtlinie (Qualifikationsverordnung). GFK und Qualifikationsrichtlinie (Qualifikationsverordnung) kennen weder das zusätzliche Tatbestandsmerkmal der »sittlichen Gebotenheit« der Reise noch die vorgesehene Beweislastumkehr, so dass die vorgesehene Gesetzesänderung gegen beide verstößt.

Weitere geplante Verschärfungen sind unverhältnismäßig

Zudem plant die Bundesregierung weitere Verschärfungen, die aber – wenn das Gesetz tatsächlich eine Reaktion auf Mannheim oder Solingen sein soll – überflüssig und unverhältnismäßig sind. So sollen die Schwellen gesenkt werden, nach denen verurteilte Straftäter*innen ausgewiesen werden können, wenn die Straftat »unter Verwendung einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begangen worden ist«. Doch bereits jetzt liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse bei rechtskräftigen Verurteilungen zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder das Leben vor (§ 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG) – gerade Körperverletzungen mit einer Waffe fallen hierunter. Problematisch ist, dass von den neuen Vorschlägen, die auch Strafen gegen das Eigentum umfassen, bewaffnete Raubüberfälle umfasst sein können, auch wenn es dabei gar nicht zu Körperverletzungen gekommen ist.

Problematisch sind auch die neuen Vorschläge auch für verurteilte Straftäter ab einer bestimmten Strafhöhe, die sich noch im Asylverfahren befinden. Für sie wird es erschwert, noch die Flüchtlingseigenschaft zu erhalten, selbst wenn es um Jugendstrafen von mindestens drei Jahren geht. Damit würden auch jugendliche oder heranwachsende Täter*innen erfasst. Diese Verschärfung konterkariert jedoch dem Grundgedanken des Jugendstrafrechts, welches in erster Linie neuen Straftaten entgegenwirken und der Erziehung von Jugendlichen oder Heranwachsenden dienen soll.

(pva, ak, wr)

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