Originalquelle Read More
Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder (MPK) am 20. Juni 2024 in Berlin
Die Rolle der Ministerpräsident*innenkonferenz (MPK) hat sich seit dem Beginn der Corona-Pandemie stark gewandelt. Die ursprüngliche Definition des Treffens lautet: »Die MPK wurde auf Initiative der Ministerpräsidenten als ´Gremium der Selbstkoordination‚ der Länder ins Leben gerufen. Ziel ihrer Beratungen ist die Abstimmung gemeinsamer Positionen der Länder untereinander bzw. gegenüber dem Bund in wichtigen politischen Fragen außerhalb des normalen Gesetzgebungsverfahrens. Anders als der Bundesrat ist sie kein Verfassungsorgan.«
Das Treffen entwickelt sich seit dem Beginn der Pandemie 2020 jedoch immer mehr zu einem Gremium, das die Bundesgesetzgebung stark beeinflusst. Besonders zu beobachten ist dies im Bereich Flucht und Migration. Für Abschiebungen, Auslagerung von Asylverfahren, Bezahlkarte, Einstufung von Herkunftsländern als sicher, Umsetzung von GEAS in Deutschland und für viele weitere Themen kommen die Impulse inzwischen aus der MPK. Nicht selten finden diese Impulse dann auch Einzug in die Bundesgesetzgebung, wie zum Beispiel bei den neuen rechtlichen Verschärfungen bei Abschiebungen.
Auch bei der MPK im Juni 2024 ging es hauptsächlich um die Reduzierung der Zahlen von Ankommenden und in Deutschland lebenden Geflüchteten ohne Aufenthaltstitel.
Unter der Prämisse »Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung, die wirksam für Entlastung sorgen und den irregulären Zuzug unterbinden« (TOP 5.1 Umsetzungsstand der Beschlüsse, 1) wurden die Restriktionen der vorangegangenen Treffen bestätigt und einige neue beschlossen.
So bitten die Länder die Bundesregierung, konkrete Modelle zur Durchführung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten zu entwickeln und dabei insbesondere auch dafür erforderliche Änderungen in der EU-Regulierung sowie gegebenenfalls im nationalen Asylrecht anzugehen. (TOP 5.1 Umsetzungsstand der Beschlüsse, 2)
PRO ASYL und viele weitere im Innenausschuss angehörte Expert*innen wissen jedoch, dass eine Auslagerung des Flüchtlingsschutzes in Transit- oder Drittstaaten die Schwierigkeiten deutscher Kommunen bei der Aufnahme von Schutzsuchenden nicht lösen, aber gravierende Menschenrechtsverletzungen, hohe Kosten und Aufwand sowie Abhängigkeit von Drittstaaten verursachen wird. PRO ASYL forderte deswegen vor dem Treffen mit über 300 Organisationen, Menschen zu schützen, statt Asylverfahren auszulagern.
Zudem bitten die Länder die Bundesregierung, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, um Personen, die schwere Straftaten begehen, auch nach Syrien und Afghanistan abschieben zu können. Jedoch sind Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen drohen mit dem Rechtsstaat und Völkerrecht unvereinbar – und genau das ist in Syrien und Afghanistan der Fall. Außerdem soll das Ausweisungsrecht bei »Billigung terroristischer Straftaten« – für die schon ein Like bei Social Media reichen soll – stark verschärft werden. Das Bundesinnenministerium hat hierfür bereits einen Entwurf gemacht.
Schon länger versuchen einige Bundesländer, solche völkerrechtswidrigen Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan zu forcieren. Bei der letzten IMK im Dezember 2023 war ein entsprechender Prüfauftrag beschlossen worden. Nach der schrecklichen Tat von Mannheim hat die Debatte stark an Fahrt aufgenommen und selbst Bundeskanzler Scholz und Bundesinnenministerin Faeser stellten sich hinter die Forderung. Der deutsche Rechtsstaat muss sich aber dadurch auszeichnen, dass eine so erschreckende Tat, wie der Angriff in Mannheim, zu einem angemessenen Strafverfahren führt. Rechtsstaatliche Grundsätze wie das Verbot der Abschiebung in Länder, in denen Folter und unmenschliche Behandlung droht, dürfen einer aufgeheizten Debatte jedoch nicht geopfert werden.
Stand jetzt erscheinen die Forderungen auch weiterhin wenig realistisch: Zum einen, weil beide Regime diplomatisch geächtet werden und es keine Beziehungen zu ihnen gibt. Ob wirklich Nachbarländer an deutschen Abschiebungen mitwirken würden, ist auch höchst zweifelhaft. Zum anderen ist angesichts der schweren Menschenrechtsverletzungen in den Ländern davon auszugehen, dass deutsche Gerichte entsprechende Abschiebungsversuche stoppen würden.
Weiterhin fordern die Länder die Bundesregierung auf, »den Abschluss von Migrations- und Rückführungsabkommen auf höchster politischer Ebene intensiv voranzutreiben, insbesondere mit denjenigen Staaten, aus denen die meisten irregulären Flüchtlinge mit geringen Anerkennungsquoten nach Deutschland kommen«. (TOP 5.1 Umsetzungsstand der Beschlüsse, 4)
Die Folgen der sogenannten Migrations- und Rückführungsabkommen, wie Menschenrechtsverletzungen und die Abhängigkeit von Autokratien, hat PRO ASYL in der Vergangenheit schon häufig kritisiert, zum Beispiel beim Tunesien-Deal und beim EU-Türkei-Abkommen.
Des Weiteren begrüßen die Länder die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen und sprechen sich dafür aus, »dass die EU-Rückführungsrichtlinie bei einer Neufassung so abzufassen ist, dass Zurückweisungen an der Grenze weiter zweifelsfrei in einer praktikablen Weise erfolgen können und dabei auch Verfahren für die Zurückweisung von Personen aus sicheren Drittstaaten entwickelt werden«. (TOP 5.1 Umsetzungsstand der Beschlüsse, 5) Damit zeigt der Beschluss auch wenig Verständnis für die tatsächlichen rechtlichen Gegebenheiten. Europarechtlich steht der direkten Zurückweisung von Asylsuchenden an deutschen Binnengrenzen aktuell die Dublin-III-Verordnung (und ab 2026 die Asyl- und Migrationsmanagementverordnung) entgegen, die genau regeln, wie Asylsuchende in andere EU-Mitgliedstaaten zu überstellen sind. Insbesondere muss erst geprüft werden, ob es nicht systemische Mängel in dem Land gibt, die eine Überstellung verbieten würden. Sollte es tatsächlich um Abschiebungen in Nicht-EU-Länder gehen – die angeblich für die Person »sicher« seien – dann muss erst recht eine Prüfung bezüglich dieser Sicherheit stattfinden.
Alles andere wäre völkerrechtswidrig und ein illegaler Pushback. Dass der Ministerpräsident Stephan Weil selbst bei der Pressekonferenz nach der MPK von Pushbacks an den Binnengrenzen spricht, zeigt eine völlige Entgleisung der Debatte.
Außerdem einigten sich Bund und Länder auf einen einheitlichen Barbetrag von 50 Euro, der geflüchteten Menschen mit Bezahlkarte zur Verfügung stehen soll. PRO ASYL kritisiert die Bezahlkarte grundsätzlich als Diskriminierungsinstrument.
Gerade die geringe Menge des Barbetrags ist ein Schlag gegen die gesellschaftliche Teilhabe von neu angekommenen Menschen. Denn Bargeld brauchen die Menschen zum Beispiel für Dorf- und Gemeindefeste, Beiträge für Sportvereine, Einkäufe in kleinen Läden, Ratenzahlung für Anwält*innen und vieles mehr.
Sitzung der Innenministerkonferenz (IMK) vom 19. bis 21. Juni 2024 in Potsdam
Zum wiederholten Male ging es bei der IMK ganz maßgeblich um die Problematisierung von Flucht und Migration. Diese Fokussierung auf Abschiebung und Abschottung befeuert die flüchtlingsfeindlichen Diskurse und Debatten und verfestigt das falsche Bild in der öffentlichen Wahrnehmung, dass Migration das größte gesellschaftliche Problem derzeit sei. Eine brandgefährliche Debatte, die sich auch in einer massiv erhöhten Zahl an Übergriffen auf Geflüchtete zeigt.
Gemeinsam mit verschiedenen Organisationen hatte sich PRO ASYL im Vorfeld der Innenminister*innenkonferenz für bundesweite Abschiebestopps für Jesid*innen und in den Iran ausgesprochen. Die Forderung, dass die politisch und zivilgesellschaftlich öffentlich zur Schau gestellte Solidarität mit den für Freiheit Protestierenden aus dem Iran und mit den Überlebenden des Genozids an Jesid*innen ernsthaft umgesetzt werden sollte, fiel der populistischen Debatte mit den Rufen nach mehr Abschiebungen zum Opfer.
Die dringend notwendigen Abschiebestopps schafften es gar nicht auf die Tagesordnung (Iran) bzw. fanden keine Mehrheit unter den Bundesländern (Jesid*innen). Statt Schutzversprechen zu halten und die beiden Abschiebestopps zu beschließen, ging es bei der IMK hauptsächlich um Abschottungs- und Ausweisungsfantasien sowie um die Frage, wie man Schutzsuchende daran hindern kann, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen.
Die Innenminister*innen haben sich darauf geeinigt, Armenien, Indien und die Maghreb-Staaten (Marokko, Algerien, Tunesien) auf die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten zu nehmen. Hierzu muss man aber festhalten: Ein entsprechendes Gesetz kann nur von der Bundesregierung auf den Weg gebracht werden und bislang gibt es hierüber keine Einigung in der Ampel-Regierung.
Die IMK bittet die Bundesregierung außerdem zu prüfen, ob darüber hinaus weitere Herkunftsstaaten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden können. Damit können Asylanträge sehr schnell abgelehnt und Personen leichter abgeschoben werden.
Wie Deutschland Herkunftsländer von Geflüchteten wider besseres Wissen als sicher erklärt
PRO ASYL kritisiert diese Verschärfung und Entrechtung von geflüchteten Menschen seit vielen Jahren. Zudem legt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1996 fest, dass der Gesetzgeber bei der Einstufung eines Landes zum »sicheren Herkunftsstaat« die Rechtslage, die Rechtsanwendung und die allgemeinen politischen Verhältnisse in diesem Staat untersuchen muss. Die Einstufung als »sicherer Herkunftsstaat« erfordert im ernannten Staat Stabilität und hinreichende Kontinuität der Verhältnisse und deshalb weder Verfolgungshandlungen noch unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung – und zwar für alle Gesellschafts- und Bevölkerungsgruppen und im ganzen Land. Der Gesetzgeber ist zudem verpflichtet, eine gründliche antizipierte Tatsachen- und Beweiswürdigung der verfügbaren Quellen vorzunehmen, wenn er einen Staat als sicher listen wolle, heißt es beim Bundesverfassungsgericht weiter.
Bei den Einstufungen der letzten Jahre wurden jedoch regelmäßig Berichte von Expert*innen, Verbänden und Organisationen ignoriert. So wurde zum Beispiel Georgien als sicher erklärt, trotz antidemokratischer Tendenzen und Repressalien gegenüber LGTBIQ*-Angehörigen. Für PRO ASYL ist das Konzept der »sicheren Herkunftsstaaten« nicht vereinbar mit dem individuellen Recht auf Asyl.
Die IMK fordert zudem weitere zeitnahe Abschlüsse von Migrationsabkommen mit weiteren Herkunfts- und Transitländern, um in Migrationsfragen zusammenzuarbeiten und vor allem, um die Rückführungsmöglichkeiten zu verbessern – also, um mehr Menschen abschieben zu können.
Auch in dieser Frage überwiegt das innenpolitische Interesse (Erhöhung der Abschiebezahlen) die außenpolitische Vernunft (sich nicht von zum Teil autokratischen Staaten abhängig machen). Zudem werden Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen, geschehen beim prominenten EU-Türkei-Deal, der zu Pushbacks, Gewalt und massivem Leid für Geflüchtete geführt hat.
Die IMK unterstützt den Beschluss der MPK vom 20. Juni 2024, mit dem die MPK den Sachstandsbericht des Bundesinnenministeriums zur Frage der Feststellung des Schutzstatus in Transit- oder Drittstaaten zur Kenntnis genommen hat. Weiterhin hat sie die Bundesregierung gebeten, darauf aufbauend konkrete Modelle für Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten zu entwickeln und dabei insbesondere auch dafür erforderliche Änderungen in der EU-Regulierung sowie im nationalen Asylrecht anzugehen.
Dieses Konzept ist aufs Schärfste abzulehnen: Es ist das Ende des Asylrechts. Vor der MPK forderte PRO ASYL deshalb mit über 300 Organisationen, Menschen zu schützen, statt Asylverfahren auszulagern. Dort heißt es: »Pläne, Flüchtlinge in außereuropäische Drittstaaten abzuschieben oder Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen, funktionieren in der Praxis nicht, sind extrem teuer und stellen eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit dar. Sie würden absehbar zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen, wie pauschale Inhaftierung oder dass Menschen in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen menschenunwürdige Behandlung oder Verfolgung drohen.«
»Die IMK bittet den Bund zu prüfen, bis zu welchem Zeitpunkt das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan aus dem Jahr 2022 beendet werden kann.« Ein kurzer Satz mit brisantem Inhalt. Während das Programm viele Monate der Ausarbeitung brauchte, bis es endlich implementiert wurde, schwebten gleichzeitig viele Tausend Menschen in Afghanistan in Lebensgefahr und hofften auf die Rettung aus Deutschland. Auch nach dem Start des Programms scheiterten die Einreisen von gefährdeten Afghan*innen, häufig in Lebensgefahr, weil sie oder Angehörige die Bundeswehr in Afghanistan unterstützt hatten, an bürokratischen Hürden und verschleppten Verfahren.
Diese implizite Forderung nach der Einstellung des Programms macht vielen bedrohten Afghan*innen Angst, ist die Aufnahme nach Deutschland für sie doch ein letzter Hoffnungsschimmer und möglicher Rettungsanker.
Statt über Hilfe für sie zu sprechen, beschäftigte sich die IMK mit den rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Abschiebung von Straftäter*innen nach Afghanistan und Syrien.
So begrüßte die IMK die Ankündigung des Bundeskanzlers (in seiner Regierungserklärung vom 6. Juni 2024), dass das BMI an Lösungen arbeitet, um die Abschiebung Schwerkrimineller und terroristischer Gefährder auch nach Afghanistan und Syrien zu ermöglichen, und fordert den Bund auf, hierzu alle rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten vollständig auszuschöpfen.
Insbesondere fordert sie eine Neubewertung der Sicherheitslage in Syrien durch das Auswärtige Amt, konkret bezogen auf die Region um Damaskus, und eine Vereinbarung mit der pakistanischen Regierung, die eine Rückführung afghanischer Staatsangehöriger teilweise auf dem Landweg innerhalb Pakistans bis zur afghanischen Grenze ermöglichen soll. PRO ASYL stellt klar: Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen drohen, sind mit dem Rechtsstaat und Völkerrecht unvereinbar.
Bei der IMK wurde außerdem die einfachere Ausweisung von Personen ohne deutschen Pass beschlossen, die »terroristische Straftaten« gutheißen oder verbreiten. Schon ein einzelner Kommentar in den Sozialen Medien soll demnach ausreichen, um ein »besonders schweres Ausweisungsinteresse« zu begründen, sagt das Bundesinnenministerium im Gesetzentwurf. Ein Gerichtsurteil müsste die Ausländerbehörde dazu nicht abwarten.
Für PRO ASYL ist an dem Gesetzentwurf besonders problematisch, dass die Regeln den Ausländerbehörden einen so weiten Ermessensspielraum lassen. In einem Strafverfahren ließe sich darüber streiten, was als Billigung von Terrorismus gilt. Wenn aber die Ausländerbehörde das in Zukunft einschätzen soll, ist das ein Problem und kann tief in die Meinungsfreiheit eingreifen.
Zu den bereits bestehenden Zäunen, Mauern, Überwachungstechniken und Pushbacks kommen noch mehr Inhaftierung und Isolation von Asyl suchender Menschen an den Außengrenzen und neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen. Was konkret mit künftig nach Europa fliehenden Menschen passiert, wenn die Verordnungen ab 2026 – zwei Jahre nach Inkrafttreten – angewendet werden, lässt sich nicht genau vorhersagen. Doch klar ist, dass in den letzten Jahren die EU-Staaten vor allem dadurch aufgefallen sind, dass das geltende Recht falsch oder gar nicht angewendet wurde.
GEAS-Reform im EU-Parlament:
Historischer Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa
Nach der von PRO ASYL als Tiefpunkt des Flüchtlingsschutzes bezeichneten europäischen Einigung auf die neue GEAS-Reform ging es bei der IMK nun um deren Umsetzung in Deutschland. Das erklärte Ziel der Innenminister*innen sind die schnellen Anpassungen im deutschen Recht, die notwendig sind, um die vollständige Wirksamkeit der GEAS-Regelungen in Deutschland bis zum Sommer 2026 effektiv sicherzustellen. Das BMI arbeitet bereits jetzt an diesbezüglichen Gesetzesveränderungen.
(nb, wj)
The post Asyl-Beschlüsse der Bundesländer: Abschreckung und Abschottung im Zentrum first appeared on PRO ASYL.