»Ich bin in Sicherheit, aber im Iran & belarussischen Wäldern sterben immer noch Menschen«

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Sie sind aus dem Iran geflüchtet. Warum mussten Sie 2022 fliehen?

20 Jahre lang engagierte ich mich im Umweltschutz in den kurdischen Gebieten im Iran. Dafür sperrte mich das iranische Regime 2012 für fünf Jahre ein. 2017 wurde ich frei gelassen. Obwohl es im Gefängnis sehr schlimm war, arbeitete ich politisch weiter bis zum September 2022. Als die Frau-Leben-Freiheit-Proteste anfingen, stieg ich direkt ein. In den kurdischen Städten fühlte es sich an, als wäre Kriegszustand. Das Regime ging mit aller Härte gegen uns vor. Es gab viele Verletzte, die wegen Überfüllung nicht in Krankenhäusern behandelt werden konnten. Wir gründeten deswegen eigene Erste-Hilfe-Gruppen, um Verletzte in privaten sicheren Häusern pflegen zu können.

Doch dann lud mich der Geheimdienst vor. Sie durchsuchten mein Haus und meine Arbeitsstelle und nahmen meinen Laptop und mein Handy mit. Kurz darauf schossen auf einer Demonstration iranische Sicherheitskräfte auf mich. Mit verletztem Auge und Schrotkugeln in meinem Rücken und in meinem linken Bein beschloss ich schweren Herzens, meine Heimat zu verlassen.

Wie ist die Lage im Iran heute?

Die Lage im Iran ist sehr schlimm – politisch, rechtlich und wirtschaftlich – vor allem in dem kurdischen Gebieten. Frauen und junge Freiheitsaktivist*innen wurden schon immer unterdrückt vom Regime, aber sie stehen weiter in der ersten Reihe des Widerstands und kämpfen. Sehr zum Unmut des Regimes, das diesen besonders hart an unterdrückten Gruppen auslässt, wie an den Frauen oder an den Kolbar [Lastenträger im Grenzgebiet Iran-Irak und Iran-Türkei], die in den Protesten auch eine wichtige Rolle spielten.

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Was hat es mit den Kolbar auf sich?

Die Kolbar in Kurdistan und im iranischen Hochland Belutschistan sind der Beweis für das Versagen des iranischen Regimes. In den Grenzstädten der iranisch-irakischen und iranisch-türkischen Grenze gibt es für viele Menschen keinerlei wirtschaftliche Perspektiven und keine Unternehmen, in denen man arbeiten könnte. So arbeiten viele als Lastenträger und tragen Kleidung, Schuhe, Autoreifen oder Haushaltssachen – wie zum Beispiel Kühlschränke und Waschmaschinen – auf ihren Rücken über die Grenze. Das geschieht im Auftrag von Geschäftsleuten oder auf Eigeninitiative, um die Dinge auf der anderen Seite zu verkaufen und den Preisunterschied zu nutzen, um sich Geld für etwas Essen zu verdienen.

Die Ware ist bis zu 150 kg schwer. Die Wege sind hart und steil, immer wieder stürzen Kolbar die Hänge hinab oder erfrieren im Schnee. Zusätzlich schießt die Islamische Revolutionsgarde auf sie, wenn sie sie entdeckt, denn diese Arbeit ist offiziell verboten. So verdienen die Lastenträger unter lebensgefährlichem Einsatz ein paar Dollar am Tag, damit sie und ihre Familien überleben.

Die Kolbar gehören vor allem den Minderheiten der Kurden und der Belutschen an, die von jeher vom Regime unterdrückt werden. Deswegen konnten sie sich mit den Frau-Leben-Freiheit-Protesten gegen das Regime identifizieren und schlossen sich ihnen aktiv an. Dafür rächt sich das Regime und lässt noch mehr auf sie schießen. Schon mehrere hundert Kolbar wurden in den letzten Monaten erschossen, auch Minderjährige. Niemand wird zur Rechenschaft gezogen, es wird nicht einmal thematisiert. Ich habe bereits 2018 einen Dokumentarfilm über die Kolbar und ihre furchtbare Situation gemacht. Seit 2022 ist die Situation aber noch brutaler. Das Regime bekämpft sie, aber auch alle anderen Menschen und Gruppen, die sich mit den Frauenprotesten solidarisieren. So haben zum Beispiel die Gewerkschaftlerinnen und Arbeiteraktivistinnen Sharife Mohammadi und Pakhshan Azizi kürzlich ihre Todesurteile erhalten.

»Ich habe immer um Gerechtigkeit und den Umweltschutz gekämpft, vor meiner Inhaftierung und auch nach meiner Entlassung. Bis ich meine Heimat verlassen musste.«

Was genau haben Sie als Umweltaktivist im Iran gemacht?

In den kurdischen Gebieten im Iran haben wir verschiedene Probleme, eines davon ist der Umweltschutz. Die Islamische Revolutionsgarde und das Regime vereinnahmen und zerstören die Ressourcen der kurdischen Gebiete. Tausende Hektar der für die dort wohnenden Menschen wirtschaftlich wichtigen Wälder und Felder haben sie in Brand gesetzt. Sie vertreiben die Menschen aus ihren Dörfern, indem sie die Lebensgrundlage entweder zerstören oder sich aneignen. Im Umweltschutz aktiv zu sein ist daher sehr politisch, weil es gleichzeitig um die Vertreibung und Unterdrückung von Menschen geht. Ich habe immer um Gerechtigkeit und den Umweltschutz gekämpft, vor meiner Inhaftierung und auch nach meiner Entlassung. Bis ich meine Heimat verlassen musste. Das war eine schwierige und schmerzhafte Entscheidung.

Der lange und gefährliche Weg nach Deutschland: Wie haben Sie das geschafft?

Das Regime hatte bei der letzten Durchsuchung meinen Pass beschlagnahmt. Deswegen musste ich über den Landweg zu Fuß in den Irak nach Kurdistan [Autonome Region Kurdistan] flüchten. Dort erhoffte ich mir Schutz und medizinische Versorgung meiner Wunden, beides wurde mir verwehrt. Nach drei Monaten in prekärer Lage erklärte mir die dortige Geheimdienst-Polizei, die Asayesh, ich müsse das Land innerhalb von zwei Tagen verlassen, sonst würden sie mich in den Iran abschieben. Denn seit Februar 2023 haben Kurdistan, Iran und Türkei den Deal, dass die Türkei und Kurdistan politischen Geflüchteten aus dem Iran keinen Schutz erteilen. Dass ich einen Anwalt hatte und einen offiziellen Nachweis der UN, dass ich ein politisch verfolgt bin, half nicht.


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Drei Tage lang lief ich zu Fuß in Richtung Türkei. Dort hatte ich nach wenigen Monaten das gleiche Problem, dass mir die Abschiebung direkt in die Arme meiner Verfolger drohte. Ich musste schnellstmöglich die Türkei verlassen. Aber die Flucht über Griechenland war gefährlich, denn wenn man dabei erwischt wird, kommt man ins türkische Abschiebegefängnis. Ich kenne Iraner, die im Abschiebegefängnis in der Türkei sitzen, obwohl ihnen im Iran auf Grund ihres politischen Engagements bei der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung zwölf Jahre Haft oder der Tod drohen. Richtung Bulgarien zu fliehen, war auch keine Option, überall hört man die Geschichten von der dortigen Misshandlung an geflüchteten Menschen.

Als ich die Chance bekam, nach Moskau zu fliegen, ergriff ich diese. Von dort brachte man mich versteckt in einem Auto nach Belarus. Hier musste ich mich verstecken, um nicht in den Iran abgeschoben zu werden. Ich dachte, ich bleibe nur kurz, aber erst nach vielen Monaten schaffte ich es, immer noch verletzt und ohne medizinische Versorgung, bis zum Wald an der Grenze nach Polen.

»Was dort an der Grenze passiert, ist unvorstellbar und fernab von jeglichen Menschenrechtsgesetzen.«

Das polnisch-belarussische Grenzgebiet gilt als besonders brutale Region für Menschen auf der Flucht. Wie erging es Ihnen dort?

Was dort an der Grenze passiert, ist unvorstellbar und fernab von jeglichen Menschenrechtsgesetzen. Ich ging insgesamt 21 Mal in den Wald im Grenzgebiet und harrte dort mehrere Tage aus in dem Versuch nach Polen, Litauen oder Lettland in Sicherheit zu kommen. Sowohl die lettischen, litauischen und polnischen als auch die belarussischen Grenzsoldaten schlugen uns, auch die Frauen, mit Stöcken, griffen uns mit Elektroschockern an und zwangen uns, uns auszuziehen. Sie nahmen unsere Schuhe und machten sie kaputt. Sie stahlen unser Essen, unsere Schlafsäcke, unsere Rucksäcke, unsere Handys und jagten uns anschließend zurück in den Wald. Barfuß. Ich hatte den Eindruck, dass sie wollten, dass wir im Wald sterben. Manchmal fanden wir dort erfrorene Geflüchtete – auch ganze Familien.

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Es ist wie ein Spiel der verschiedenen Grenzpolizisten. Die Grenzsoldaten – egal welcher Nation – schlagen die Flüchtlinge und schicken sie zurück in den Wald. Von dort bringt sie die belarussische Polizei zunächst in ein Lager und dann zurück nach Minsk oder an die Grenze zu Polen. Manchmal schlagen sie die Menschen so stark, dass diese nicht mehr laufen können. Die Menschen, die nach Minsk zurückgebracht werden, versuchen meistens trotzdem wieder zur Grenze zu kommen.

Ich habe bei jeder meiner 21 Festnahmen durch polnische, litauische und lettische Grenzpolizisten versucht mit ihnen zu sprechen. Ich habe ihnen meine Verletzungen gezeigt und Briefe von der UN und einer weiteren Menschenrechtsorganisation, die belegen, dass ich politisch verfolgt bin. Niemanden hat das interessiert, ich wurde dann noch mehr geschlagen und gedemütigt. Es gab einfach keinen Weg.

Nach einigen Monaten erhielt ich durch Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen Kontakt zum Auswärtigen Amt und bekam auf Grund meiner Nachweise über meine politische Verfolgung, endlich ein Visum für Deutschland und konnte hierherkommen.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Ich bin hier. Jetzt können endlich mein verletztes Auge versorgt und die Schrotkugeln aus meinem Körper entfernt werden. Ich möchte erstmal gesund werden und dann Deutsch lernen. Danach habe ich den großen Wunsch auch hier für den Umweltschutz und für Menschenrechte aktiv zu sein.

Ich bin in Sicherheit, aber im Iran und in den Wäldern von Belarus sterben gleichzeitig immer noch Menschen. Wir dürfen sie nicht vergessen.

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