Malta: Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt

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Die Zahl der Geflüchteten, die Malta mit oftmals seeuntauglichen Booten über das Mittelmeer erreichen, geht seit Jahren zurück. Während mit 3.406 Ankünften im Jahr 2019 ein Höchststand erreicht war, kamen im Jahr 2023 nur noch 380 Menschen in dem südeuropäischen Inselstaat an, dessen Größe etwa der Stadt Bremen entspricht. Die Mehrzahl der Menschen floh 2023 über Libyen, einige wenige auch über Tunesien. Die Schutzsuchenden kamen unter anderem aus Bangladesch, Syrien, Guinea und Kamerun.

NEWS (2023)

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»Sie haben uns sterben lassen«

Der starke Rückgang ist eine Folge der Politik der maltesischen Regierung, die seit Jahren aktiv versucht, Ankünfte auf der Insel zu verhindern: So ignoriert Malta systematisch Notrufe und weigert sich, Rettungseinsätze zu koordinieren; hält Handelsschiffe aktiv davon ab, zu retten; lehnt es ab, mit Akteur*innen der Seenotrettung zu kooperieren und etwa gerettete Menschen anlanden zu lassen; drängt Menschen in Seenot vor der maltesischen Küste dazu, weiter Richtung Italien zu fahren. Systematisch verletzt Malta damit internationales Recht. Mit ihrer Abschottungspolitik versperrt die maltesische Regierung de facto den Zugang zu Asylverfahren für Menschen, die in Malta Zuflucht suchen.

Malta ignoriert systematisch Notrufe und weigert sich, Rettungseinsätze zu koordinieren

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El Hiblu 3:

Auszeichnung als Menschenrechtsverteidiger

»Diese Weigerung, zu retten, ist schlicht inakzeptabel«, sagt Neil Falzon, Geschäftsführer der maltesischen Nichtregierungsorganisation aditus foundation (aditus), die von PRO ASYL finanziell unterstützt wird. »Es geht hier um einen EU-Mitgliedstaat, der eigentlich grundlegende Menschenrechte schützen sollte!« Nach Angaben seiner Organisation haben die maltesischen Behörden im Jahr 2022 mehr als 20.000 Menschen in Not ignoriert; 413 Boote in Seenot in der maltesischen Seenotrettungs-Zone seien nicht unterstützt und nur drei Boote von den maltesischen Streitkräften gerettet worden.

20.000

Menschen in Not ignoriert

Diese Praxis der unterlassenen Hilfeleistung geht immer weiter. Laut dem AIDA-Bericht 2023 gibt es Vorwürfe, dass Malta zu rettende Boote nach der Nationalität der in Seenot geratenen Personen auswähle. Dabei würden Personen bevorzugt, die geringere Chancen hätten, Schutz zu erhalten, weil bei ihnen die Wahrscheinlichkeit höher sei, dass sie zwangsweise zurückgebracht werden oder einer freiwilligen Rückkehr zustimmen könnten.

Tödliche Politik: Unterlassene Hilfeleistung und Zurückschleppen nach Libyen

Daneben verfolgt Malta eine Strategie der Externalisierung von Grenzkontrolle: Der Inselstaat arbeitet eng mit der sogenannten libyschen Küstenwache zusammen, um Abfahrten aus Libyen zu unterbinden. Diejenigen, die es trotz allem in maltesische Gewässer schaffen, werden von den libyschen Milizen in rechtswidrigen »Pullbacks« zurück in das Bürgerkriegsland gezogen. Zum Teil weist Malta auch private Schiffe an, Schutzsuchende zwangsweise nach Libyen zu bringen.

Central Mediterranean SAR Zones Foto: Civil MRCC

Im Jahr 2022 sind laut aditus über 24.600 Menschen zwangsweise nach Libyen zurückgeschleppt worden, und auch 2023 setzte sich diese Praxis sich fort, was einen tausendfachen Verstoß gegen das Völkerrecht und den Grundsatz der Nichtzurückweisung darstellt. Denn Libyen ist kein sicherer Ort: Schutzsuchende sind dort regelmäßig Folter, Versklavung und anderen massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Neil Falzon ist Teil des Anwaltsteams, das zwei der drei Angeklagten der als »El Hiblu 3« bekannten Geflüchteten in Malta verteidigt. Die drei Geflüchteten hatten sich 2019 friedlich gegen den Versuch eines unrechtsmäßigen Pushbacks von über 100 Menschen auf dem Mittelmeer nach Libyen zur Wehr gesetzt. Dafür werden sie nun vom maltesischen Staat angeklagt, ihnen droht lebenslange Haft. Zum Zeitpunkt der Festnahme waren die drei 15, 16 und 19 Jahre alt. Eine internationale Kampagne, der auch PRO ASYL angehört, fordert, dass die Anklage fallen gelassen wird.

»Wir haben den Eindruck, dass Malta versucht, durch die Anklage der El Hiblu 3 Stärke und eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Migrant*innen und Geflüchteten, die Malta irregulär erreichen, zu demonstrieren«, so Neil Falzon, der zudem ernsthafte Mängel in dem bisherigen Verfahren beklagt. So seien den beiden minderjährigen Angeklagten während des gesamten Prozesses nicht die Rechte und Verfahrensgarantien gewährt worden, die das Gericht Kindern hätte gewähren müssen. In den ersten Monaten wurden sie zum Beispiel in einer Hochsicherheitsabteilung eines Gefängnisses von Malta untergebracht.

Dass Malta strafrechtliche Möglichkeiten nutzt, um Geflüchtete oder Menschen, die diese unterstützen, zu kriminalisieren, ist leider kein Einzelfall. 2020 erreichte Neil Falzon gemeinsam mit anderen Anwälten einen Freispruch für den deutschen Kapitän Claus-Peter Reisch, der nach der Seenotrettung von über 200 Schutzsuchenden mit dem Schiff MV Lifeline wegen vermeintlichen Fehlern bei der Schiffsregistrierung angeklagt worden war. Dabei handelte es sich um einen Versuch, die Arbeit von zivilen Seenotrettungsorganisationen zu behindern.

NEWS (2022)

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Libyen:

»Ich möchte die Welt daran erinnern, dass wir Menschen sind«

Die zentrale Mittelmeerroute zwischen Libyen, Tunesien, Malta und Italien gilt als die gefährlichste Fluchtroute der Welt: Mehr als 2.500 Menschen sind im Jahr 2023 im zentralen Mittelmeer gestorben oder gelten als vermisst, seit 2014 sind es weit über 23.600 Menschen – die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Der Inselstaat trägt durch seine tödliche Politik Mitverantwortung für den Verlust von Tausenden Menschenleben.

Im Jahr 2022 starb Loujin, ein dreijähriges syrisches Mädchen, da maltesische Behörden ihrer Pflicht zur Seenotrettung nicht nachkamen. Aditus vertritt die Eltern des Kindes und hat vor wenigen Tagen Klage gegen Malta vor dem maltesischen Zivilgericht eingereicht. Ziel ist es, für Aufklärung und Gerechtigkeit zu sorgen und Aufmerksamkeit für die maltesischen Menschenrechtsverletzungen auf dem Mittelmeer zu schaffen.

»Wir bezahlen die Folgen dieser Politik, die in Europa gemacht wurde, mit unseren Leben, unserem Blut und unseren Liebsten«, so David Yambio, sudanesischer Geflüchteter und Gründer der Organisation Refugees in Libya, bei einer globalen Gedenkveranstaltung in Malta.

Foto: „Global Day of Commemor Action“ / aditus

Systematische Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen

Die aditus foundation berichtet, dass alle Asylsuchenden, die Malta 2023 per Boot erreichten, unmittelbar nach ihrer Ankunft automatisch inhaftiert wurden – zunächst mit Verweis auf »die öffentliche Gesundheit«.

Menschen aus Staaten mit niedrigen Schutzquoten wurden anschließend auf Grundlage einer Aufnahmeverordnung automatisch für die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens beziehungsweise die maximal zugelassene Dauer inhaftiert, während andere Asylsuchende – insbesondere aus Syrien und Libyen – entweder gar nicht oder nur kurz in Gewahrsam genommen wurden. Sobald ein negativer Asylbescheid ergeht, wird die Haft häufig in Abschiebungshaft umgewandelt, sodass abgelehnte Asylsuchende gleich hinter Gittern bleiben müssen.

»Hier schikaniert ein Staat vulnerable Menschen, die Schutz suchen, ein besseres Leben.«

Neil Falzon, aditus foundation

Auch Kinder, Frauen und andere besonders vulnerable Personengruppen werden systematisch nach ihrer Ankunft eingesperrt. »Malta sorgt mit seinem harten Haftregime dafür, dass Geflüchtete als Invasoren und Kriminelle angesehen werden«, so Neil Falzon. Die Inhaftierten würden ihrer Menschlichkeit beraubt, der Kontakt zu ihren Familien, Freund*innen und Hilfsorganisationen werde verhindert. »Hier schikaniert ein Staat vulnerable Menschen, die Schutz suchen, ein besseres Leben.«

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Maltas Inhaftierungspolitik verletzt internationale, europäische und nationale Standards

Maltas systematische Inhaftierung von Asylantragstellenden und Migrant*innen wird seit Jahren nicht nur von Menschenrechtsorganisationen kritisiert, sondern auch von offiziellen europäischen Stellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Menschenrechtskommissar des Europarats, das Komitee zur Verhütung von Folter des Europarates und Maltas eigene Gerichte haben harsche Worte gefunden, um die maltesische Inhaftierungspolitik zu kritisieren, die internationale, europäische und nationale Standards ignoriert.

Nach einem Besuch im Jahr 2020 beklagte das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) »Lebensbedingungen, die an institutionelle Massenvernachlässigung durch die Behörden grenzen«. Die Bedingungen in Haft stellten möglicherweise eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar, die gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoße. Im Herbst 2023 überprüfte das CPT Malta erneut, die Veröffentlichung des Berichts steht noch aus.

Der Fall A.D. gegen Malta [12427/22] vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) steht exemplarisch für die gravierenden Mängel im maltesischen Asylsystem und die strukturellen Probleme im Umgang mit besonders schutzbedürftigen Personen, die in Malta Zuflucht suchen. Kläger ist Alex* (Pseudonym), ein damals 15-jähriger unbegleiteter Teenager, der Malta nach einer lebensgefährlichen Flucht über das Mittelmeer 2021 erreichte und über sieben Monate eingesperrt wurde. In Haft litt er an Tuberkulose, posttraumatischer Belastungsstörung und Depressionen.

Gemeinsam mit dem Jesuitenflüchtlingsdienst Malta zog aditus bis vor den EGMR. Aditus feierte das Urteil von Oktober 2023 als »Sieg für die Menschenrechte in Malta«. Denn das Straßburger Gericht offenbarte die Unzulänglichkeiten im Umgang Maltas mit schutzbedürftigen Personen, einschließlich Kindern, und stellte fest, dass Malta das Recht von Alex auf Freiheit und auf Freiheit von grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung verletzt habe. Das Urteil bestätigte, was aditus seit Jahren beklagt, nämlich dass die Praxis der Inhaftierung aus Gründen der »öffentlichen Gesundheit« rechtswidrig war. Zudem verhängte das Gericht allgemeine Maßnahmen, die Malta dazu verpflichten, sein Haftregime zu überarbeiten und sich besser um schutzbedürftige Personen zu kümmern.

Die maltesische Regierung hat die rechtswidrige Inhaftierung auf Grundlage der »öffentlichen Gesundheit« seit dem Urteil eingestellt. Stattdessen wird die große Mehrheit der Ankommenden nun automatisch auf Grundlage der nationalen Aufnahmeverordnung für etwa zwei Monate in Gewahrsam genommen, was aditus ebenfalls rechtlich anzufechten versucht.

Der Staat begrenzt und überwacht den Zugang von Nichtregierungsorganisationen zu den Haftanstalten. Anwält*innen von aditus versuchen dennoch, Schutzsuchende regelmäßig in den Haftanstalten zu besuchen, um rechtliche Beratung anzubieten und allgemeine Informationen zur Verfügung zu stellen, etwa in Form eines Factsheets zur Verwaltungshaft. Wenn nötig, vertreten sie Betroffene auch vor maltesischen und europäischen Gerichten.

800 Tage Gewahrsam, 400 Menschen, zwei Duschen

Junge Geflüchtete beschreiben ihre Erfahrungen in maltesischen Gefängnissen als grausam. So schildert ein junger Mann aus Bangladesch, dass er als 15-Jähriger 14 Monate inhaftiert wurde, um nach einer kurzen Freilassung für weitere neun Monate eingesperrt zu werden. »Was das an Leid bedeutet, können nur Menschen verstehen, die es erlebt haben«, sagte er. Während der Haftzeit habe er nicht mit seiner Familie sprechen können. Aditus hatte junge Männer nach ihren Erfahrungen in maltesischen Haftanstalten zwischen Dezember 2019 und April 2022 gefragt.

Ein anderer junger Mann erzählt, dass er 2020 mit fast 400 Leuten in einem Raum festgehalten wurde, mit nur zwei Duschen für alle Inhaftierten. Es war Winter, das Wasser eiskalt, die Räume sehr dreckig. »Am 25. Dezember sah ich zwei Menschen, die sich selbst verletzten. Manchmal habe ich gedacht, dass auch ich mir etwas antun werde, wenn ich noch länger in Haft bleiben muss.« Über 800 Tage musste er in Gewahrsam ausharren. »Bitte, behandelt uns gut«, appelliert er. »Wir sind auch Menschen.«

 »Wir suchen es uns nicht aus, zu fliehen«, unterstreicht ein dritter Mann, »doch sobald wir hier ankommen, werden wir erneut eingesperrt, für Monate, manchmal für ein Jahr.« Er berichtet von mangelhafter Gesundheitsversorgung, schlechtem Essen und fehlenden Informationen: »Wir wissen nicht, warum sie uns überhaupt inhaftieren.« Menschen hätten sogar Toilettenwasser getrunken. Er fordert, dass die maltesische Regierung die Situation in den Haftanstalten verändert.

Die Lebensbedingungen in Haft seien »minderwertig und unwürdig«, fasst aditus die Situation 2023 im Bericht für die Asylum Informationen Database (AIDA) zusammen. Immer wieder kommt es zu Selbstverletzungen oder Selbstmordversuchen. Doch statt Menschen mit psychischen Problemen aus den Haftzentren zu entlassen, hat Malta 2023 begonnen, sogenannte psychologische Unterstützung vor Ort anzubieten.

BROSCHÜRE

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Der Europäische Asylpakt

und seine Folgen

Nach GEAS-Reform: Monitoring von Haftlagern bleibt zentral

Auch Menschen, die aus einem anderen EU-Staat im Rahmen der Dublin-Verordnung nach Malta »rücküberstellt« werden, können in Haft landen. Für das Jahr 2023 hat aditus das verstärkt beobachtet. Aus Deutschland wurden 2023 26 Menschen nach Malta abgeschoben (bei 260 Übernahmeersuchen).

Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wird in absehbarer Zeit zu mehr Haftlagern an den EU-Außengrenzen führen. »Wir befürchten, dass die Absenkung der Standards in der gesamten Europäischen Union die schrecklichen Praktiken, wie wir sie in Malta seit einigen Jahren beobachten, noch verstärken wird«, so Neil Falzon. Das Monitoring der maltesischen Haft-Zentren werde so in Zukunft noch dringlicher: »Denn wir werden mehr denn je sicherstellen müssen, dass Asylsuchende die Informationen erhalten, auf die sie Anspruch haben, um den Zugang zu Asylverfahren sicherzustellen.«

(hk)

Aditus foundation ist eine maltesische, unabhängige Nichtregierungsorganisation, die 2011 von Anwält*innen gegründet wurde. »Aditus« (lat.) steht für »Zugang«: Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, den Zugang von Individuen und Gruppen zu grundlegenden Menschenrechten in Malta zu überwachen, darüber zu berichten und, wo nötig, zu handeln.

Im Bereich Asyl und Migration setzt aditus sich insbesondere für einen effektiven Zugang zu Asylverfahren, den Schutz vor willkürlicher Inhaftierung und ein verbessertes Aufnahmesystem für Geflüchtete ein. Im Zentrum der Tätigkeiten der Organisation stehen Advocacy, rechtliche Beratung und strategische Prozessführung.

Als Menschenrechtsorganisation arbeitet aditus auch zu Themen wie Diskriminierung, Rechtsstaatlichkeit, den Rechten von LGBTIQA+ Menschen und reproduktiver Gesundheit. Die Organisation verfolgt bei ihrer Arbeit einen intersektionalen Ansatz, sodass die Themen nicht isoliert voneinander bearbeitet werden.

Aditus wird unter anderem durch nationale und EU-Fonds und den UNHCR Malta finanziert. PRO ASYL unterstützt insbesondere die rechtliche Arbeit von aditus in den maltesischen Haftanstalten seit 2023 finanziell.

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