Mutig für Flüchtlingsrechte: Menschenrechtspreis 2024 an Neil Falzon und aditus foundation

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Malta

Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt

»Mit ihrem herausragenden Einsatz zeigen Neil Falzon und seine Mitstreiter*innen großen Mut, juristische Expertise und Hartnäckigkeit, basierend auf der unerschütterlichen Überzeugung, dass in einer Gesellschaft JEDER Mensch Zugang (lat. aditus) zu seinen grundlegenden Rechten haben muss«, heißt es in der Urkunde, die Neil Falzon und zwei Mitarbeiterinnen der aditus foundation,  Kirsten Gatt und Katarzyna De Wilde, am Samstag zusammen mit dem Preisgeld von 5.000 Euro bei der  feierlichen Preisverleihung in Frankfurt am Main entgegennahmen. Dazu erhielten sie jeweils eine »PRO ASYL-Hand«: eine Skulptur des Künstlers Ariel Auslender, Professor an der Technischen Universität Darmstadt.

Die Mitarbeiter*innen der aditus foundation, überwiegend Anwält*innen, setzen sich seit 2011 für den effektiven Zugang zu Asylverfahren, den Schutz vor willkürlicher Inhaftierung und ein menschenwürdiges Aufnahmesystem für Geflüchtete ein. Konsequent schaut das aditus-Team dorthin, wo auf Malta die Menschenrechte verletzt werden, und wirkt durch sein Handeln den zunehmenden Angriffen auf die Rechtsstaatlichkeit in Europa insgesamt beispielhaft entgegen. Damit machen sie auch anderen Menschen, die sich für Flüchtlingsrechte einsetzen, weit über die Grenzen des kleinen Landes hinaus Mut.

Preisträger kritisiert Haftbedingungen in Malta

Preisträger Neil Falzon bedankte sich für den Preis, der ein Schlaglicht auf die Situation der Flüchtlinge in Malta werfe. Das EU-Mitglied Malta fahre mit Haftlagern und rechtswidrigen Zurückweisungen (Pushbacks) einen äußerst restriktiven und brutalen Kurs gegen Flüchtlinge. Obwohl mehrere Klagen gegen den maltesischen Staat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfolgreich gewesen seien, bleibt ein »Großteil der maltesischen Haftbedingungen illegal und menschenunwürdig«, sagte er.

»Traurigerweise sind wir damit vertraut, wie die abnehmende Bereitschaft, Solidarität zu zeigen und danach zu handeln, langsam die Seele und das Herz der EU tötet, wenn es um den Schutz von Flüchtlingen geht.«

Neil Falzon

Falzon beklagte, dass die Verweigerung von Solidarität innerhalb der EU deren Werte zerstöre: »Traurigerweise sind wir damit vertraut, wie die abnehmende Bereitschaft, Solidarität zu zeigen und danach zu handeln, langsam die Seele und das Herz der EU tötet, wenn es um den Schutz von Flüchtlingen geht.« Das führe nicht nur zu einer Krise im Flüchtlingsschutz, sondern auch zu »einer viel umfassenderen Krise: einer Krise, die seit langem etablierte Normen und Standards des Regierens bedroht«.

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Das Team der aditus foundation aus Malta. Foto: aditus foundation

Solidarität zwischen denen, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzten

So würden zum Beispiel die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet und Organisationen der Zivilgesellschaft »mit rechtlichen, finanziellen und anderen administrativen Waffen« angegriffen. »Wir müssen uns auf sehr harte Zeiten einstellen, die nicht nur den Flüchtlingen schaden werden, sondern auch unseren Organisationen, unseren Mitarbeitern und denen, die an unsere Arbeit glauben«, sagte Falzon. Umso wichtiger sei die Solidarität zwischen denen, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzten:  »Wir müssen bereit sein, uns gegenseitig zu unterstützen und füreinander einzustehen«, sagte Neil Falzon.

»Leuchtturm der Hoffnung«

In ihrer Laudatio bezeichnete die Bundestagsabgeordnete Awet Tesfaiesus die Preisträger als »Hüter unserer  Menschlichkeit in der Gesellschaft«, »Leuchtturm der Hoffnung und als unermüdliche Kraft im Kampf für die Rechte von Geflüchteten und Migranten« und betonte weiter: »In einer Zeit, in der die Herausforderungen im Bereich Migration und Asyl in Europa immer komplexer werden, setzt sich aditus mit bemerkenswerter Entschlossenheit und Expertise für diejenigen ein, die selbst oft keine wahrnehmbare Stimme haben.«

Mit der Auswahl des diesjährigen Preisträgers positioniere PRO ASYL sich eindeutig, so die Laudatorin weiter: »Wenn man sich entscheiden muss zwischen dem Zeitgeist und dem Geist der Aufklärung und des Humanismus, wird niemand zweifeln, wo PRO ASYL stand und steht. Unerschrocken und standhaft erinnert uns PRO ASYL daran, wo man stehen sollte.«

Sie beklagte, Geflüchtete würden in den aktuellen Debatten als »Ursache allen Übels« angesehen und rief dazu auf, in dieser aufgeheizten Stimmung Mitmenschlichkeit und Empathie zu bewahren.

Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt 

Seit Jahren verletzt der EU-Mitgliedstaat Malta systematisch internationales Menschenrecht. Mit brutalen Mitteln und durch unterlassene Hilfeleistung versucht der Inselstaat, Schutzsuchende davon abzuhalten, die maltesische Küste zu erreichen.

„Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt.“ Das beschreibt die zynische Politik der maltesischen Regierung. Malta ignoriert systematisch Notrufe von Bootsflüchtlingen und weigert sich, Rettungseinsätze zu koordinieren. Die maltesische Regierung hält Handelsschiffe aktiv davon ab, zu retten, und lehnt es ab, mit Seenotretter*innen zu kooperieren und gerettete Menschen anlanden zu lassen.

Damit blockiert das Land an der EU-Außengrenze seit Jahren de facto den Zugang zu Asylverfahren für schutzsuchende Menschen und bricht dabei systematisch internationales Recht. Menschen, die die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer überleben, werden unmittelbar nach ihrer Ankunft inhaftiert, oftmals unter unmenschlichen Bedingungen und für viele Monate.

Foto: Jonas Bickmann

Erfolge vor hohen Gerichten

Trotz erheblicher staatlicher Einschränkungen besuchen Mitarbeiter*innen der aditus foundation, überwiegend Anwält*innen, regelmäßig inhaftierte Schutzsuchende. Sie stehen den Betroffenen mit juristischer Expertise und persönlichem Beistand zur Seite und kämpfen vor (inter)nationalen Gerichten unermüdlich für Aufklärung und Gerechtigkeit. So stießen Nichregierungsorganisationen wie die aditus foundation und der JRS (Jesuit Rescue Service), die versuchten, Flüchtlinge in Haft zu besuchen, auf zahlreiche Hindernisse, wenn sie ihre Klienten besuchen wollten, sagte Neil Falzon in seiner Rede : »Wenn wir dann bei ihnen sind, sprechen wir mit ihnen in Räumen mit Überwachungskameras, unter der Androhung, dass wir gestoppt werden, wenn wir etwas Unangebrachtes tun.«

So unterstützt aditus zum Beispiel die Klage der Eltern der dreijährigen syrischen Loujin, die die maltesischen Behörden für den Tod ihrer Tochter wegen ausbleibender Seenotrettung verantwortlich machen. »Es sind die Eltern von Loujin, des dreijährigen Mädchens, das auf See verdurstet ist, weil Malta sich weigerte, sie und die anderen Menschen, die mit ihr auf dem Boot waren, zu retten. Stunde um Stunde, Tag um Tag ist sie schlichtweg zugrunde gegangen«, sagte Neil Falzon in seiner Rede.

Und im Oktober 2023 erreichte aditus einen Erfolg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), als das Straßburger Gericht in seinem Urteil die strukturellen Probleme im Umgang mit besonders schutzbedürftigen Personen, die in Malta Zuflucht suchen, bestätigte. Außerdem arbeitet aditus zusammen mit Geflüchteten in den Bereichen Rechte für LGBTIQ+, Rechtsstaatlichkeit und Gesundheit.

»In einer Zeit, in der die Herausforderungen in Europa immer komplexer werden, setzt sich aditus mit bemerkenswerter Entschlossenheit und Expertise für diejenigen ein, die selbst oft keine wahrnehmbare Stimme haben.«

Awet Tesfaiesus, Laudatorin

Laudatorin: bemerkenswerte Entschlossenheit, Expertise und Mut der aditus foundation

Laudatorin Awet Tesfaiesus hob die bemerkenswerte Entschlossenheit, Expertise und den Mut von Neil Falzon und seinem Team hervor und betonte: »Sie stellen sich den Verletzungen der Menschenrechte in Europa mit aller Kraft entgegen. Durch ihre juristische Expertise und den persönlichen Beistand für Überlebende von Bootskatastrophen und Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Haftlagern leisten sie Pionierarbeit.« Dieses Engagement wirke auch weit über die Grenzen Maltas hinaus und sei »zu einem Vorbild für ähnliche Organisationen in ganz Europa geworden«, sagte Awet Tesfaiesus, die selbst Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Asylrecht ist.

INTERVIEW

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Dr. Neil Falzon zum Fall der El Hiblu 3

»Wir fechten einen Informationskrieg aus«

Awet Tesfaiesus kennt Neil Falzon und das aditus-Team persönlich, da sie als parlamentarische Beobachterin für den »El Hiblu 3« Prozess in Malta war.

Neil Falzon ist Teil des Anwaltsteams, das zwei der drei Angeklagten der als »El Hiblu 3« bekannt gewordenen jungen Flüchtlinge in Malta verteidigt. Die drei hatten sich 2019 friedlich gegen einen Zurückschiebungsversuch von mehr als 100 Menschen auf dem Mittelmeer nach Libyen zur Wehr gesetzt. Dafür werden sie vom maltesischen Staat angeklagt, ihnen droht lebenslange Haft. Zum Zeitpunkt der Festnahme waren sie zum Teil minderjährig. Eine internationale und auch von PRO ASYL unterstützte Kampagne fordert, dass die Anklage fallengelassen wird.

Mit mitfühlendem Engagement einen Unterschied machen

»Krieg, Verfolgung und Flucht ist nichts, was sich irgendein Mensch freiwillig aussucht«, erinnerte Awet Tesfaiesus, die in Eritrea geboren wurde und selbst Fluchterfahrung hat. »Der Verlust der Familie, von Freunden, die Möglichkeit, in einer Sprache zu kommunizieren, die man beherrscht – all das ist weg. Anstatt dessen steht man vor einer großen Ungewissheit, Anfeindungen und einem Stück weit auch dem Verlust der eigenen Würde. Alles, was man bisher geschafft und geleistet hat, wird auf Null gesetzt.« Man werde »von einem geschätzten Mitglied einer Gemeinschaft zu einer Belastung und einem Eindringling. Einem Flüchtling.«

Sie ist sich sicher: »Es ist diese Art von entschlossenem, fachkundigem und mitfühlendem Engagement, das den wahren Unterschied im Leben der Menschen macht, für die sie kämpfen«, so Tesfaiesus.

(hk, wr)

Die Stiftung PRO ASYL verleiht den Menschenrechtspreis seit 2006 jährlich an Personen, die sich in herausragender Weise für die Achtung der Menschenrechte und den Schutz von Flüchtlingen einsetzen. Der Preis ist mit 5.000 Euro und einer Skulptur des Künstlers Ariel Auslender, Professor an der Technischen Universität Darmstadt, dotiert. Eine Übersicht über bisherige Preisträger*innen findet sich hier.

Dr. Neil Falzon ist Gründer und Direktor der aditus foundation. Er lehrt als Dozent für Menschenrechtsfragen an der Universität von Malta und koordiniert den Flüchtlingsrat von Malta. Zuvor leitete er das maltesische Büro des UNHCR.

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