Verfolgte Frauen besser schützen!

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Knapp 94.000 Frauen und Mädchen haben in Deutschland 2023 um Asyl gebeten. Sie flüchten aus Herkunftsländern, in denen oft seit langer Zeit Gewalt und Willkür herrschen, und aus Staaten, die sie nicht vor frauenverachtenden Übergriffen und Attacken schützen. Allein aus Syrien kamen im Jahr 2023 über 22.000 Antragstellerinnen, rund 20.000 aus der Türkei, über 9.000 aus Afghanistan, dann folgen Irak (4.200) und Iran (3.800). Insbesondere im Krieg und in stark autoritär und patriarchal geprägten Verhältnissen müssen Frauen Zwangsverheiratung, körperliche und seelische Misshandlungen, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen, Genitalverstümmelung/-beschneidung und andere Grausamkeiten bis hin zu ihrer Ermordung fürchten. Die Gefahr für Frauen, während der Flucht nach Europa und sogar innerhalb Europas erneut Gewalt zu erleiden, ist extrem hoch.

Doch noch immer tut Deutschland zu wenig, um Frauen und Mädchen umfassend vor Gewalt zu schützen. Dabei verpflichtet die Istanbul-Konvention (IK) – das »Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt«– dazu. Die Konvention ist in Deutschland seit 2018 in Kraft und für die ganze Europäische Union und alle Unterzeichnerstaaten völkerrechtlich verbindlich. Sie verpflichtet die Staaten unter anderem zu geschlechtssensiblen Aufnahme- und Asylverfahren und bekräftigt für gewaltbetroffene Frauen die Gewährung internationalen Flüchtlingsschutzes nach den Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK).

Istanbul-Konvention: Deutschland hat Hausaufgaben

Schon 2021 hat der Schattenbericht von PRO ASYL, Flüchtlingsräten und Uni Göttingen gezeigt, dass die Istanbul-Konvention für geflüchtete Frauen und Mädchen mangelhaft umgesetzt ist. Die dort beschriebenen Probleme sind nach wie vor aktuell: In der Aufnahmepraxis der Länder werden geflüchtete Frauen, die Gewalt erfahren mussten, nicht systematisch identifiziert. In vielen Sammelunterkünften gibt es nach wie vor keine Gewaltschutzkonzepte und keine Vorgaben oder Kontrolle von bestehenden Schutzkonzepten durch die Länder. Noch immer ist es keine Seltenheit, dass Toiletten, Duschen oder Schlafräume in Flüchtlingsunterkünften nicht abschließbar sind. Frauen, die bereits an Körper und Seele schwere Verletzungen erlitten haben, werden so zusätzlich geängstigt und strukturell der Gefahr weiterer Gewalt ausgesetzt. Obendrein haben sie aufgrund der einschränkenden Gesundheitsregelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht einmal einen ungehinderten Zugang zu Beratung, medizinischer Behandlung oder psychologischer Hilfe.

Noch immer tut Deutschland zu wenig, um Frauen und Mädchen umfassend vor Gewalt zu schützen.

Der Kontrollausschuss der Istanbul-Konvention GREVIO hat der Bundesrepublik Ende 2022 Umsetzungslücken auch in Bezug auf geflüchtete Frauen und Mädchen bescheinigt und Änderungen angemahnt. Bis Dezember 2025 hat Deutschland Zeit, sie umzusetzen, dann muss die Bundesregierung GREVIO Bericht erstatten. Geschehen ist bisher wenig – im Gegenteil: Mit dem jüngsten Beschluss zum Asylbewerberleistungsgesetz haben Bund und Länder die Situation von gewaltbetroffenen geflüchteten Frauen noch erheblich verschärft: Ihr Zugang zu medizinischer Versorgung und zum regulären Gesundheitssystem wurde von 18 auf 36 Monate ausgedehnt. Diskriminierende Bezahlkarten werden das Leben der betroffenen Frauen, etwa bei einem notwendigen Umzug in ein Schutzhaus, alles andere als leichter machen.

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Istanbul-Konvention umsetzen

Schutz vor Gewalt auch für geflüchtete Frauen und Mädchen

Mangelnder Blick des Bundesamtes auf geschlechtsspezifische Verfolgung

Auch in puncto Asyl wird die Bundesrepublik den Vorgaben der Istanbul-Konvention bislang kaum gerecht: Nur in knapp 4.800 Fällen von Frauen und Mädchen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine geschlechtsspezifische Verfolgung festgestellt – das entspricht lediglich 7,8 Prozent der inhaltlich geprüften beziehungsweise 6,0 Prozent aller Asylentscheidungen von Frauen.

Von den 4.800 entfallen allein 3.200 auf das Herkunftsland Afghanistan. Die Bedrohungslage durch die Taliban ist allenthalben bekannt – Frauen erleben systematische Unterdrückung, Entrechtung und brutale Bestrafungen. Doch selbst den Afghaninnen verweigerte das Bundesamt noch vor einiger Zeit eine GFK-Asylanerkennung und stellte stattdessen zumeist nur ein schwächeres »Abschiebungsverbot« fest. Nachdem einige EU-Staaten Afghaninnen als verfolgte soziale Gruppe betrachteten und schließlich auch die Europäische Asylagentur ihre Anerkennung empfahl, sah sich das Amt ab März 2023 aufgefordert, seine Praxis zu ändern: Die um unzulässige Entscheidungen bereinigte GFK-Anerkennungsquote afghanischer Frauen und Mädchen stieg von weniger als 40 Prozent zu Jahresbeginn 2023 auf etwa 90 Prozent an. Ein kleiner Teil der Afghaninnen erhält vom BAMF aber immer noch lediglich ein Abschiebungsverbot, einige subsidiären Schutz.

Allein diese Zahlen legen nahe, dass das Thema geschlechtsspezifische Gewalt beim Bundesamt nicht angemessen beleuchtet wird. Die Bundesrepublik kommt ihrer Verpflichtung zu geschlechtersensiblen Asylprüfungen offenkundig nicht nach.

Bezogen auf andere Herkunftsländer lässt die behördliche Einsicht in die strukturelle Gewalt gegen Frauen auf sich warten: Auch im Iran werden Frauen durch das Rechtssystem der Scharia in vielen Lebensbereichen unterdrückt. Seit 2022 streiten dort vor allem mutige Frauen für ihre Rechte und werden selbst bei kleinen Verstößen etwa gegen die Kopftuchpflicht Opfer brutaler staatlicher Repression. Doch nur 7,6 Prozent der inhaltlich geprüften Asylanträge von Iranerinnen enden mit der Anerkennung aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung. Die Türkei wurde 2018 vom Europarat aufgrund der sich immer stärker ausbreitenden Gewalt gegen Frauen, Zwangsverheiratungen von Mädchen und willkürlicher richterliche Milde gegenüber Gewalttätern gerügt. 2021 trat das Land medienwirksam aus der Istanbul-Konvention aus. Hierzulande fand das Bundesamt aber nur in 2 % der inhaltlich geprüften Fälle schutzsuchender Frauen Gründe für eine geschlechtsspezifische Verfolgung.

Allein diese Zahlen legen nahe, dass das Thema geschlechtsspezifische Gewalt beim Bundesamt nicht angemessen beleuchtet wird. Die Bundesrepublik kommt ihrer Verpflichtung zu geschlechtersensiblen Asylprüfungen offenkundig nicht nach.

EuGH: Flüchtlingsanerkennung für gewaltbetroffene Frauen

Durch ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 16. Januar 2024 sollte sich das künftig ändern: Das Gericht stellte klar, dass Frauen eines Herkunftslandes je nach den dort herrschenden Verhältnissen auch insgesamt als »bestimmte sozialen Gruppe« im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie angesehen werden können. Frauen, die im Herkunftsland körperliche oder psychische Gewalt erleiden – was ausdrücklich sexualisierte und häusliche Gewalt einschließt – können demnach als Flüchtlinge anerkannt werden. Mord- oder Gewalt-Drohungen durch Angehörige der Familie oder der Gemeinschaft, weil der Frau ein Verstoß gegen kulturelle, religiöse oder traditionelle Normen vorgeworfen wird, stuft der EuGH als »ernsthaften Schaden« gemäß EU-Anerkennungsrichtlinie ein.

Erfreulich deutlich weist der EuGH auf die Wichtigkeit und Verbindlichkeit der Istanbul-Konvention hin: Nicht nur die Europäische Union, die die Konvention 2023 unterzeichnet hat, sondern auch alle EU-Staaten sind gehalten, die asylrechtlichen Vorgaben »im Lichte der Istanbul-Konvention auszulegen« Das gilt ausdrücklich sogar für solche Staaten, die die Konvention bislang noch nicht ratifiziert haben, wie etwa Bulgarien, Tschechien oder Ungarn. Gleiches gilt im Übrigen auch für andere völkerrechtliche Verträge, namentlich etwa die Europäische Menschenrechtskonvention oder die Frauenrechtskonvention CEDAW.

Tatsächlich wäre die EuGH-Entscheidung für Deutschland eigentlich gar nicht nötig gewesen: Im deutschen Asylgesetz ist bereits seit mehr als fünfzehn Jahren verankert, dass eine Verfolgung allein aufgrund des Geschlechts zur Flüchtlingsanerkennung führen kann.

In der Praxis wird diese an sich eindeutige Bestimmung aber durch viele Wenn und Abers kaum angewendet. So wird etwa behauptet, die soziale Gruppe der Frauen sei zu groß, oder es fehle ihr an einer »abgrenzbaren Identität« oder »Andersartigkeit«. Manchmal werden deshalb kleinere Untergruppen konstruiert, etwa die der »unverheirateten Frauen aus dem Iran«. Manche Verfolgung wird noch immer als unpolitisch und damit asylunerheblich eingestuft, etwa im Fall häuslicher Gewalt, auch wenn die Frau dadurch erheblich gefährdet ist und sie vom Staat keinen Schutz erhält.

Bei den Gerichten sieht es nur teilweise besser aus: Einige Verwaltungsgerichte vertraten bereits die Linie des Gerichtshofes und gewährten geschlechtsspezifisch verfolgten Frauen die GFK-Anerkennung, bei vielen anderen aber gibt es noch keinen zeitgemäßen Umgang mit dem Thema frauenspezifische Verfolgung.

Das erfreuliche Urteil des EuGH schafft nun endlich Klarheit. Die Anerkennungspraxis von BAMF und Gerichten wird sich im Hinblick auf die geschlechtsspezifischen Fluchtgründe deutlich verändern müssen, so dass wegen ihres Geschlechts verfolgte Frauen endlich zu ihrem Recht kommen.

(ak)

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