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Malala*, du bist jetzt seit 2 Jahren in Deutschland. Wie sah dein Leben vor deiner Flucht aus?
Die letzte Zeit in Afghanistan lebte ich in ständiger Angst vor den Taliban. Ich fühlte mich wie eine Gefangene. Ich war nur noch zu Hause, hatte Angst, das Haus zu verlassen. Daheim saßen meine Familie und ich und fürchteten uns davor, dass es an der Tür klopfen könnte. Es war nur noch ein Überleben, kein Leben mehr.
Wie war es für dich in Afghanistan vor der Machtübernahme der Taliban?
Ich habe Medizin und englische Literatur studiert. Wir afghanischen Frauen wussten, dass wir jetzt eine Chance haben, die aber jeden Tag enden kann. Deswegen studierte ich morgens Medizin und Abends englische Literatur. Als die Taliban kamen, fehlten mir noch zwei Semester, bis ich das Medizinstudium absolviert hätte. Aber immerhin habe ich einen Abschluss in englischer Literatur. Neben der Uni habe ich mich auch viel für Frauenrechte engagiert.
Und deshalb bist du von den Taliban jetzt besonders bedroht?
Ja. Ich habe fünf Jahre lang für das Ministerium für Frauenangelegenheiten in meiner Provinz gearbeitet, viele Frauen beim Empowerment unterstützt und Entwicklungsprogramme begleitet. Als Mitarbeiterin von internationalen Hilfsprogrammen und NGOs habe ich mich gegen Zwangsarbeit, Kinderehen und für Schulbildung von Mädchen eingesetzt.
Ich war außerdem an den Friedensverhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban beteiligt. In dieser Zeit bin ich oft öffentlich aufgetreten und habe die Taliban kritisiert. Über meine Auftritte wurde viel berichtet und ich erhielt direkte Drohungen von den Taliban.
Wann und wie hast du entschieden, dass du Afghanistan verlassen musst?
Ich wollte zuerst nicht fliehen. Ich liebe mein Land und ich wollte nicht akzeptieren, dass alles, wofür wir so hart gearbeitet haben, vorerst verloren ist. Wir fürchteten jeden Tag den Tod. Es war keine leichte Entscheidung, aber wir wollen leben. Meine jüngeren Geschwister sollen zur Schule gehen können, ich will Ärztin sein. All das ist nicht möglich unter den Taliban.
Wie habt ihr die Flucht letztendlich geschafft?
Ich war in Afghanistan Teil einer Gruppe von Frauen, die das Friedensministerium in Afghanistan für die Friedensverhandlungen mit den Taliban beriet. Alle Frauen aus unserer Gruppe waren durch die Taliban stark gefährdet. Wir kontaktierten PRO ASYL und mit ihrer Hilfe bekamen wir humanitäre Visa. Ich bin dafür sehr dankbar, das Team war immer erreichbar, hat mich und die anderen Frauen unterstützt. Es gab keinen anderen Ausweg, PRO ASYL war unsere einzige Hoffnung, den Taliban zu entkommen.
Deine Spende für die Menschenrechte
Wie war das für dich und deine Familie, als ihr letztendlich nach Deutschland kamt?
Als wir aus dem Flugzeug in Berlin ausgestiegen sind, ist ein riesiger Druck von uns abgefallen. Wir hatten das Gefühl, endlich wieder frei atmen zu können. Wir konnten uns frei bewegen, ganz ohne Angst. Aber gleichzeitig hat es mich sehr geschmerzt, dass ich mein Land verlassen musste. Und in Deutschland anzukommen und die Einreiseformalitäten zu durchlaufen, hat es für mich erst real gemacht. Ab jetzt bin ich Flüchtling und ich weiß nicht, wann ich meine Heimat wiedersehen kann.
Wie sieht dein Leben gerade aus?
Ich bin sehr glücklich über mein neues Leben. Ich mache gerade mein B2 Sprachzertifikat und habe einen tollen Job als Dolmetscherin gefunden. Außerdem nehme ich an einem Stipendienprogramm für gefährdete Menschenrechtsverteidiger*innen teil. In Zukunft will ich hier in Deutschland mein Medizinstudium fertig absolvieren und Ärztin sein – das war schon immer mein Traum, seit meiner Kindheit.
Aber obwohl ich so weit von Afghanistan weg bin, bin ich immer noch nicht frei. Ich kann in Interviews nicht mein Gesicht zeigen oder meinen echten Namen verwenden, weil Teile meiner Familie noch in Afghanistan sind. Ich würde sie sonst gefährden.
Was kannst du zur aktuellen Situation in Afghanistan sagen?
Sie ist katastrophal. Frauen und Mädchen werden überall aus der Öffentlichkeit verbannt. Mädchen dürfen nur noch bis zur siebten Klasse zur Schule gehen. Frauen dürfen sich nicht frei bewegen, geschweige denn arbeiten. Es gibt unzählige Frauen, die sich wie ich für Frauenrechte eingesetzt haben und die noch immer in Angst und ständiger Bedrohung in Afghanistan leben müssen. Ich würde mir wünschen, dass die deutsche Regierung auch ihnen hilft!
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