Originalquelle PRO ASYL: Read More
Die Bezahlkarte für Geflüchtete soll kommen – so wollen es die Länderchef*innen. Laut Beschluss der MPK-Konferenz vom 6. November 2023 sollen so Geflüchtete kein Bargeld mehr bekommen und Verwaltungskosten angeblich gemindert werden. Vor allem aber sind die Bezahlkarten Teil eines Programms, mit dem die Zahl von Asylsuchenden »deutlich und effektiv gesenkt« werden soll. Schon allein dieses Motiv macht den Plan zu einer mutmaßlich verfassungswidrigen Angelegenheit. Denn schon 2012 entschied das Bundesverfassungsgericht: Sozialleistungen dürfen nicht zur Abschreckung von Geflüchteten missbraucht werden!
Der zynische Versuch, Geflüchtete mit möglichst schäbigen Leistungseinschränkungen vom Zuzug nach Deutschland abschrecken, ist so alt wie sinnlos. Menschen, die vor Krieg und existenziellen Krisen fliehen, können sich ihren Aufnahmestaat oft gar nicht aussuchen und lassen sich vom Szenario einer Sozialleistungs-Bezahlkarte wohl kaum beeindrucken. Soweit sie können, suchen sie vor allem die Sicherheit eines Rechtsstaats, die Nähe von Verwandten oder Freunden und Arbeit.
Soziale Leistungseinschränkungen spielen bei der Zuflucht also kaum eine Rolle – sicher ist aber deren diskriminierende Wirkung.
Das Asylbewerberleistungsgesetz und das Existenz-minimum.
Soziale Leistungseinschränkungen spielen bei der Zuflucht also kaum eine Rolle – sicher ist aber deren diskriminierende Wirkung: Eine Analyse von PRO ASYL und dem Berliner Flüchtlingsrat zeigt detailliert, dass der Erhalt von Sachleistungen statt Geld zu drastischen Leistungskürzungen führt, weil der individuelle Bedarf der Menschen so nicht gedeckt wird. Es ist zu befürchten, dass Bezahlkarten ähnliche Effekte haben und ihre Nutzung von Ländern und Kommunen in verschiedener Hinsicht beschränkt werden wird. Dies ist umso bedenklicher, als die Länderchef*innen neben der Einführung der Bezahlkarte auch die – ebenfalls mutmaßlich verfassungswidrige – Verlängerung der Bezugsdauer abgesenkter Asylbewerberleistungen von 18 auf 36 Monate beschlossen haben.
Wenn Bezahlkarten für Geflüchtete eingeführt werden sollen, muss eine verfassungskonforme Anwendung im Interesse von Politik und Behörden liegen, die die Würde der Betroffenen wahrt und deren menschenrechtlich verbürgtes Existenzminimum nicht weiter unterminiert. PRO ASYL sieht mindestens fünf wichtige Eckpunkte.
Menschenrechtliche Eckpunkte bei der Einführung einer Bezahlkarte
1. Bargeldabhebungen müssen uneingeschränkt möglich sein.
Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in wenigen Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse fehlt. Im Beschluss der Konferenz von Bund und Ländern vom 6. November 2023 ist zwar die schlichte Tatsache anerkannt, »dass es notwendige Ausgaben geben kann, die nicht mit der Bezahlkarte bezahlt werden können.« Dennoch soll das System nur »möglicherweise« die »Option« beinhalten, einen »klar begrenzten Teil des Leistungssatzes« bar zu erhalten. Das ist deutlich zu wenig.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2012 klar gemacht: Geflüchtete haben das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasst (1 BvL 10/10). Die Möglichkeit, über Bargeld zu verfügen, ist vor allem zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums geboten. Außerdem sichert das Sozialrecht Menschen zu, eigenständig zu wirtschaften und dabei einen »internen Ausgleich« vorzunehmen – also je nach aktuellem Bedarf für manches mehr, für anderes weniger als gedacht auszugeben. Die AsylbLG-Grundleistungen sind bereits äußerst gering und ein Bargeldentzug schränkt diese Dispositionsfreiheit weiter drastisch ein. Menschen die Verfügungsgewalt über ihre Geldmittel zu lassen – mithin uneingeschränkte Barabhebungen zu ermöglichen – ist so auch eine Frage des Respekts vor der Würde dieser Menschen.
Daher muss der gesamte Leistungssatz für Barabhebungen zur Verfügung stehen.
2. Die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr muss uneingeschränkt möglich sein.
Ähnlich wie die Barzahlung ist auch die Möglichkeit, Überweisungen zu tätigen, ein wichtiger Bestandteil der Handlungs- und Dispositionsfreiheit. Beispielsweise muss man Überweisungen tätigen können, um Telefonverträge abzuschließen. Wichtig sind sie insbesondere für einen effektiven Rechtsschutz, der unter anderem im Grundgesetz verbürgt ist. So werden per Überweisung die Zahlungen an den Rechtsanwalt/die Rechtsanwältin vorgenommen, die häufig weder über ein Kreditkartenterminal verfügen noch eine Bargeldkasse nutzen. Es wäre unzumutbar, Asylsuchenden aufzugeben, den Anwalt/die Anwältin für jede Ratenzahlung monatlich persönlich aufzusuchen, nur um – mit zusätzlichen Reisekosten – Bargeld abzuliefern (wenn die Betroffenen denn überhaupt genug Bargeld haben).
Dass in der öffentlichen Debatte vorgebracht wird, man wolle Überweisungen an Familienangehörige im Ausland verhindern, ist ein inakzeptabler, entmündigender Eingriff in mögliche private Entscheidungen und überdies irreführend: Bereits jetzt ist der Geldbetrag, den Bezieher*innen von AsylbLG-Leistungen zu ihrer Verfügung haben, äußerst gering – dass davon noch relevante Beträge für notleidende Familienangehörige abgezweigt werden, ist realitätsfern.
3. Die Karte darf nicht örtlich beschränkt werden
Es wird darüber nachgedacht, die Bezahlfunktion der Karte auf ein bestimmtes Postleitzahlengebiet einzuschränken. Sinn der Idee ist offenkundig, dass man die Menschen mit sozialpolitischen Mitteln zwingen will, einen bestimmten Bezirk nicht zu verlassen – auch dies aus Sicht von PRO ASYL eine unzulässige sozialpolitische Maßnahme, um ein ordnungspolitisches Ziel zu erreichen. Für Menschen, die weit überwiegend keiner Wohnsitz- bzw. Residenzpflicht unterliegen, führt eine Bezahlkarte mit örtlicher Beschränkung zu einer unzulässigen Beschränkung der Freizügigkeit im Bundesgebiet.
Selbst wenn ordnungsrechtliche Auflagen vorliegen, müssten die Sozialbehörden die Nutzung der Bezahlkarte für einen Besuch zum Beispiel beim Rechtsanwalt oder bestimmten Behörden, beim weiter entfernten Facharzt oder auch beim Verwandtenbesuch individuell und kurzfristig dafür freischalten – eine Zumutung für Betroffene wie für die Sozialverwaltung und überdies datenschutzrechtlich fragwürdig. Auch bei einem Umzug scheitert eine zeitnahe Umstellung der Sozialleistungszuständigkeit häufig an bürokratischen Abläufen, eine örtliche Beschränkung der Bezahlkarte verschärft das Problem.
Zudem führt die örtliche Beschränkung von Einkaufsmöglichkeiten – so zeigen es die Erfahrungen früherer Jahre – zu teils absurden praktischen Beschränkungen: Beispielsweise durften Geflüchtete nicht beim Supermarkt in nächster Nähe der Gemeinschaftsunterkunft einkaufen, weil der zum nächsten Verwaltungsbezirk gehörte. Eine örtliche Beschränkung ist in einem solchen Fall schlicht sinnlose Gängelung.
4. Kein Ausschluss bestimmter Waren oder Dienstleistungen
Bekannt ist auch der Plan einiger Länder, den Kauf bestimmter Waren und Dienstleistungen mit der Bezahlkarte verhindern zu wollen. »Leberkäse ja, Alkohol nein«, ließ der Bayerische Ministerpräsident in der BILD wissen. Die geäußerten Vorstellungen davon, was Menschen kaufen dürfen und was nicht, verweisen nicht nur auf Vorurteile und diskreditieren Geflüchtete. Sie verkennen vor allem: Sozialleistungen sind keine Erziehungsmaßnahme. Dinge vom Kauf auszuschließen, ist ein Eingriff in die persönliche Freiheit, die dem Staat nicht zusteht.
Auch im Hinblick auf den Ausschluss bestimmter Waren oder Dienstleistungen gilt: Im Sozialrecht ist zu Recht festgeschrieben, dass bedürftige Menschen eigenverantwortlich wirtschaften und damit die Freiheit besitzen sollen, selbst zu entscheiden, was sie wann brauchen. Auch geflüchtete Menschen müssen dieses Recht in Anspruch nehmen können.
Die Karte darf deshalb den Kauf bestimmter Waren oder Dienstleistungen nicht ausschließen.
5. Sicherstellung von Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung, insbesondere keine Zugriffe auf die einmal gewährten Leistungen
Die digitale Bezahlkarte eröffnet Betreiberfirmen wie potenziell auch den Sozialverwaltungen umfangreiche Zugriffsmöglichkeiten sowie Einsicht in personenbezogene Zahlvorgänge. Dies gilt es politisch und technisch von vornherein auszuschließen, um das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu wahren und ordnungsgemäßes Verwaltungshandeln sicherzustellen.
So muss z.B. gewährleistet sein, dass ein einmal auf die Karte gebuchter Betrag nicht einfach wieder entzogen bzw. zurückgebucht werden kann – etwa, weil die Sozialverwaltung meint, jemand habe z.B. seine Unterkunft verlassen und halte sich nicht mehr im Landkreis auf. Jede Leistungsrückforderung muss – eigentlich selbstverständlich – rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Ein eigenmächtiger (rechtswidriger) Zugriff der Behörden auf einmal gewährte Leistungen wie auch auf Daten muss deshalb technisch ausgeschlossen werden.
Besonders wichtig ist es in diesem Zusammenhang auch, vorzubeugen, dass einzelne technische Änderungen an der Bezahlkarte als (willkürliches) Sanktionsmittel einzelner Behörden oder gar Sachbearbeiter*innen missbraucht werden.
Die beste, eindeutig verfassungskonforme und diskriminierungsfreie Bezahlkarte bleibt die Karte für das Girokonto.
PRO ASYL appelliert an Bund und Länder, die Leistungen für Asylsuchende über eine Bezahlkarte und durch eine Verlängerung der Leistungsabsenkungen nicht noch weiter einzuschränken, sondern Menschenwürde und die Verfassung im Blick zu behalten. Dann erkennt man auch, dass eine Bezahlkarte allenfalls für die Zeit nutzbar gemacht werden kann, in der bedürftige Menschen (noch) nicht über ein Konto verfügen. Die beste, eindeutig verfassungskonforme und diskriminierungsfreie Bezahlkarte bleibt die Karte für das Girokonto.
(ak)
The post Menschenrechtliche Standards beachten! Notwendige Eckpunkte für die neue Bezahlkarte first appeared on PRO ASYL.