PRO ASYL kritisiert: Abbau der Menschenrechte von Geflüchteten in Europa beschlossen!

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Nach zwei Tagen und zwei Nächten Marathon-Verhandlungen verkündeten die Sprecher*innen der verschiedenen EU-Institutionen und Mitgliedstaaten am Mittwoch, den 20. Dezember 2023, die Einigung über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Wer noch auf Verbesserungen der Ergebnisse durch das EU-Parlament gehofft hatte, wurde bitter enttäuscht. Die Mitgliedstaaten konnten sich mit ihren extremen Verschärfungen, die sie im Juni und Oktober beschlossen hatten, fast vollständig durchsetzen. Damit steht eine Einigung, die den Flüchtlingsschutz in Europa massiv untergräbt und zeigt, wie weit der Rechtsruck in Europa schon vollzogen ist.

PRO ASYL hat die Verhandlungen intensiv verfolgt und sich mit einer Petition an das Europaparlament dafür stark gemacht, dass es nicht zu einem Europa der Haftlager kommt. Im Folgenden wird dargestellt, was aktuell über die Einigungen bekannt ist (der Guardian hat hier Einblicke in die Einigung geleaked).


Übergabe der Petition „Nein zu einem Europa der Haftlager für Flüchtlinge“ im Dezember 2023 in Straßburg an MEP Birgit Sippel. Foto: PRO ASYL

Dystopie eines Europas der Haftlager wird Realität

Die dystopische Vision eines Europas der Haftlager – die PRO ASYL seit dem Beginn der Reformpläne befürchtet – wird Realität werden. Denn die Mitgliedstaaten haben erreicht, dass eine Vielzahl an Geflüchteten zukünftig ihr Asylverfahren abgeschottet von der Außenwelt hinter Stacheldraht an den Außengrenzen durchlaufen muss. Dabei erleben PRO ASYL und unsere Partnerorganisationen seit Jahren, dass an den Außengrenzen keine fairen Asylverfahren möglich sind – es gibt keine ausreichende rechtliche, medizinische oder psychologische Unterstützung. Diese Verfahren sind darauf ausgelegt, Menschen Schutz zu verweigern und sie zu isolieren. Selbst Kinder und ihre Familien werden hiervon betroffen sein.

Die Asylgrenzverfahren, die nach einem ersten Screening nach Ankunft erfolgen, sollen in zwölf Wochen abgeschlossen sein. Daran anschließen kann sich dann ein neues Abschiebungsgrenzverfahren, was ebenfalls bis zu zwölf Wochen dauern kann. Während dieser Zeit sollen die Asylsuchenden als »nicht eingereist« gelten und in absehbar geschlossenen Asylzentren an den Außengrenzen festgehalten werden. Die Rede ist von der Fiktion der Nichteinreise, einem rechtlich fragwürdigem Konstrukt, das schon an deutschen Flughäfen zu de facto Inhaftierungen von Schutzsuchenden führt. Auch diese deutschen Grenzverfahren müssen dann an die neuen EU-Regeln angepasst und somit stark ausgeweitet und verlängert werden.

FAQ (Juni 2023)

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Zur geplanten GEAS-Reform

Fragen & Antworten

Grenzverfahren können viele Geflüchtete treffen – selbst Kinder und ihre Familien!

Für drei Gruppen von schutzsuchenden Menschen ist die Anwendung dieser Grenzverfahren verpflichtend: Für Menschen aus Herkunftsländer mit einer europaweiten Schutzquote von unter 20 Prozent, für Personen – selbst unbegleiteten Minderjährigen – denen unterstellt wird, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu sein sowie für Schutzsuchenden denen vorgeworfen wird, die Behörden zu täuschen, weil z.B. vermeintlich Dokumente zerstört wurden. Insbesondere diese letzte Anschuldigung könnte rasch von den Behörden erhoben werden. Die Mitgliedstaaten können die Grenzverfahren zudem auch bei Menschen anwenden, die über angeblich sichere Drittstaaten geflohen sind. Damit könnten auch Menschen aus Syrien oder Afghanistan in solche Grenzverfahren geraten, wenn sie über den falschen Drittstaat eingereist sind.

Damit könnten auch Menschen aus Syrien oder Afghanistan in solche Grenzverfahren geraten, wenn sie über den falschen Drittstaat eingereist sind.

Besonders dramatisch ist, dass es nicht einmal Ausnahmen für Kinder und ihre Familien geben wird. Das bedeutet letztlich die monatelange Inhaftierung Minderjähriger, die mit den UN- Kinderrechtskonventionen nicht zu vereinbaren sind. Dies zu verhindern war ein Ziel der Bundesregierung in den Verhandlungen, an dem sie aber offensichtlich gescheitert ist. Das EU-Parlament hatte zumindest eine Altersgrenze von zwölf Jahren in seiner Verhandlungsposition, die sie in den Verhandlungen jedoch aufgegeben hat.

Es wurde entsprechend dem Vorschlag der EU-Mitgliedstaaten eine Kapazität für solche Grenzverfahren festgelegt. So soll es 30.000 Haftplätze europaweit geben. Wenn diese Kapazität überschritten wird, soll eine Priorisierung darüber entscheiden, wer in die Grenzverfahren einbezogen wird und wer nicht. Wie genau diese Priorisierung in der Praxis ablaufen soll, ist noch unklar.

Mehr Deals mit Drittstaaten auf Kosten des Flüchtlingsschutzes

Mit der Europäischen Einigung können zukünftig deutlich mehr außereuropäische Drittstaaten als sicher eingestuft werden, um Flüchtlinge in diese Länder abzuschieben. Weder muss in dem Drittstaat die Genfer Flüchtlingskonvention gelten, noch muss das ganze Land sicher sein. Wenn es eine entsprechende Vereinbarung zwischen Drittstaat und EU gibt, soll die Sicherheit schlicht angenommen werden können. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, dass Mitgliedstaaten sich weitgehend aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen, indem sie Nachbarländer oder andere Staaten entlang der Fluchtrouten als »sicher« einstufen. Diese Vorgehensweise wird dazu führen, dass Menschen, die nach Europa geflohen sind, ohne Prüfung ihrer tatsächlichen Fluchtgründe in diese Länder abgeschoben werden. Mit der Reform kann die Blaupause des EU-Türkei Deals einfacher auf weitere Drittstaaten übertragen werden, obwohl gerade dieser Deal zu immensem Leid und Menschenrechtsverletzungen geführt hat. In Griechenland gilt die Türkei aufgrund des Deals unter anderem für syrische und afghanische Flüchtlinge als sicher, ihre Asylverfahren werden deswegen als unzulässig abgelehnt – nach den Gründen, warum sie ihr Herkunftsland verlassen haben, werden sie nicht mehr gefragt.

NEWS

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Die Instrumentalisierungs-verordnung

Im Dezember 2022 abgewendet, jetzt doch im Paket

Ausnahmezustände an den Außengrenzen werden legalisiert

Schon seit Jahren versuchen Mitgliedstaaten immer wieder, über Ausnahmezustände an den Außengrenzen die dort begangenen Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren (siehe z.B. Polen). Sie bekommen nun Rückenwind, denn die Ko-Gesetzgeber haben sich auch auf die besonders toxische Krisenverordnung geeinigt (mehr Informationen hier). Auch hier setzten sich die Hardliner-Mitgliedstaaten durch, obwohl Mitgliedstaaten und Europaparlament an dieser Stelle besonders weit auseinander lagen. Damit können im Fall von Krisen und »Instrumentalisierung von Migrant*innen« die Grenzverfahren massiv ausgeweitet werden – sowohl in Bezug auf ihre Dauer als auch auf die Gruppe von Personen, die in diese Verfahren für ihr Asylverfahren einbezogen werden müssen. Im Fall einer »Instrumentalisierung« dürfen die Mitgliedstaaten sogar alle Asylsuchenden an ihren Grenzen inhaftieren.

Dadurch wird es vermehrt zu Menschenrechtsverletzungen wie brutalen Pushbacks kommen und geflüchtete Menschen werden zunehmend entrechtet werden.

Bislang hatte das Europaparlament das Konzept der »Instrumentalisierung« noch nicht akzeptiert, auch weil erhebliche Grundrechtsbedenken damit einhergehen. Doch auch dieses Konzept findet sich nun in der Einigung wieder und schafft damit die Basis für zukünftige Ausnahmezustände an den Außengrenzen. Dadurch wird es vermehrt zu Menschenrechtsverletzungen wie brutalen Pushbacks kommen und geflüchtete Menschen werden zunehmend entrechtet werden.

Festhalten an dysfunktionalen und inhumanen Dublin-Regeln

Die bisherige Dublin-III-Verordnung, die festlegt welcher Mitgliedstaat für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, wird durch die Verordnung für ein Asyl- und Migrationsmanagement ersetzt. Doch vieles wird unverändert bleiben, Grundprobleme des europäischen Asylsystems werden nicht gelöst. Denn weiterhin sind es die Außengrenzstaaten, die primär für die Durchführung der Asyl(grenz)verfahren zuständig sind.

Beim EU-Parlament gab es zumindest den Ansatz, durch einen starken Solidaritätsmechanismus einen gewissen Neuanfang zu wagen. Doch die Mitgliedstaaten haben sich auch hier durchgesetzt. Ergebnis ist, dass die Aufnahme von Schutzsuchende als Solidaritätsmaßnahme gleichgestellt wird mit dem Bau von Grenzzäunen an den EU-Außengrenzen oder Projekten in Drittstaaten, die der Fluchtverhinderung dienen. Es ist zu erwarten, dass das gesamte System noch bürokratischer wird als die aktuellen Dublin-Regeln.

Für PRO ASYL heißt diese fatale Einigung vor allem eines: Weiter entschlossen für den Schutz von Flüchtlingen kämpfen!

Wie geht es jetzt weiter? Juristischer Kampf für die Menschenrechte!

Die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten, dem EU-Parlament und der EU-Kommission sind durch die verkündete Einigung politisch abgeschlossen und die Reform steht kurz vor der Finalisierung. Im Frühjahr 2024 müssen die Ko-Gesetzgeber – der Rat der EU und das Europaparlament – die politische Einigung noch formal beschließen. Die Verordnungen treten voraussichtlich 24 Monate nach den formalen Beschlüssen in Kraft und sind dann direkt anwendbares Recht im Laufe des Jahres 2026 wird damit das Europa der Haftlager zur bitteren Realität werden.

Für PRO ASYL heißt diese fatale Einigung vor allem eines: Weiter entschlossen für den Schutz von Flüchtlingen kämpfen! PRO ASYL wird die Menschenrechtsituation an Europas Grenzen nicht nur genau dokumentieren, sondern die rechtliche Vertretung von Schutzsuchenden organisieren. Schon jetzt unterstützt PRO ASYL durch Beratung und finanzielle Unterstützung Klagen von Geflüchteten und zieht mit den Betroffenen bis vor die obersten Gerichte. Über unsere Projekte fördern wir Organisationen in anderen europäischen Ländern, wie Refugee Support Aegean in Griechenland, die vor Ort für die Rechte von Geflüchteten eintreten. In den nächsten Jahren werden schutzsuchende Menschen umso dringender rechtlichen Beistand und Unterstützung brauchen, um zu ihrem Recht zu kommen – in Deutschland und an den europäischen Außengrenzen. Dafür wird sich PRO ASYL weiter einsetzen.

(wj)

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